Gilbert, Elizabeth
Mittagessen ein, und
wir aßen nicht nur Lammfleisch mit Trüffeln und ein Carpaccio, das um eine
Haselnussmousse drapiert war, sondern auch eine kleine Portion lampascioni, was - wie jedermann weiß - die eingelegten Knollen einer wilden
Hyazinthe sind.
Natürlich habe ich mich inzwischen auch mit Giovanni und
Dario, meinen Tandem-Sprachaustausch-Zwillingen, angefreundet. Giovannis nette
Art macht ihn meiner Meinung nach zu einem der nationalen »Schätze« Italiens.
Schon an unserem ersten Abend schloss ich ihn ins Herz - denn als meine
verzweifelte Suche nach den richtigen Worten mich zunehmend frustrierte, legte
er mir die Hand auf den Arm und meinte: »Liz, wenn du etwas Neues lernst, musst
du sehr liebevoll mit dir umgehen.« Zuweilen kommt er mir mit seiner
Denkerstirn, seinem Philosophiediplom und seinen politischen Ansichten älter
vor als ich. Ich bringe ihn gern zum Lachen, doch er versteht meine Witze nicht
immer. Humor ist in einer fremden Sprache nur schwer zu fassen. Vor allem, wenn
man ein so ernsthafter junger Mann wie Giovanni ist. Vorgestern Abend sagte er
zu mir: »Wenn du ironisch bist, hinke ich immer ein wenig hinterher. Ich bin
langsamer als du. Als ob du der Blitz wärst und ich der Donner.«
Und ich dachte: Yeah, baby! And
you are the magnet and I am the steel! Bring to me your leather, take from me
my lace!
Aber geküsst hat er mich immer noch nicht.
Dario, den anderen Zwilling, sehe ich nicht sehr oft, obwohl
er viel mit Sofie zusammen ist. Sofie ist meine beste Freundin aus der
Sprachenschule und mit Sicherheit jemand, mit dem man, wäre man Dario,
ebenfalls gern seine Zeit verbrächte. Sofie ist Schwedin, Ende zwanzig und so
verdammt süß, dass man sie an einem Haken festbinden und als Köder verwenden
könnte, um damit Männer aller Nationalitäten und jeglichen Alters anzulocken.
Sehr zum Entsetzen ihrer Familie und zur Verwirrung ihrer Kollegen hat sich
Sofie soeben für vier Monate von ihrem guten Job in einer schwedischen Bank
beurlauben lassen, nur um Italienisch zu lernen. Jeden Tag nach der Schule
setzen wir uns an den Tiber, schlecken unser Eis und lernen miteinander. Man
kann es nicht einmal mit Recht »lernen« nennen, was wir da tun. Es ist mehr ein
gemeinsames Genießen der italienischen Sprache, ein fast andächtiges Ritual,
und wir bieten einander immer neue wunderbare Redewendungen an. So wie wir
vorgestern beispielsweise lernten, dass un'amica stretta »eine enge
Freundin« bedeutet. Wobei stretto vor allem
»knapp sitzend«, »zu eng« heißt, zum Beispiel in Bezug auf Kleidung, etwa
einen engen Rock. Eine enge Freundin ist also auf Italienisch eine, die einem
auf die Pelle rücken darf, und genau so ein Mensch ist meine schwedische
Freundin Sofie im Begriff zu werden.
Anfangs bildete ich mir gerne ein, dass Sofie und ich wie
Schwestern aussähen. Doch vorgestern nahmen wir ein Taxi, und der Bursche am
Steuer erkundigte sich, ob Sofie meine Tochter sei. Also, ich bitte Sie - die
Frau ist nur sieben Jahre jünger als ich. Mein Denkapparat arbeitete emsig daran,
das Gesagte zu entschärfen. (Vielleicht, dachte
ich, spricht dieser römische Taxifahrer nicht besonders gut
Italienisch und wollte in Wirklichkeit wissen, ob wir Schwestern seien.) Aber nein. Er sagte »Tochter«, und er meinte
»Tochter«. Oh, was soll ich sagen? Ich habe in den letzten Jahren viel durchgemacht.
Muss ganz schön alt und ramponiert aussehen nach dieser Scheidung. Doch
wie es in dem alten Country-Western-Song aus Texas so schön heißt: »I've been screwed and sued and tattooed, and I'm still
standin' here in front of you ... «
Zu meinen neuen Freunden zählt auch ein cooles Paar, Maria
und Giulio. Meine Freundin Anne, eine amerikanische Malerin, die bis vor
einigen Jahren in Italien lebte, hat mir die beiden vorgestellt. Maria stammt
aus Amerika, Giulio aus dem Süden Italiens. Er ist Filmemacher, sie arbeitet
für eine internationale Organisation für Agrarpolitik. Sein Englisch ist nicht
besonders gut, dafür spricht sie fließend Italienisch (und ebenso fließend
Französisch und Chinesisch, so dass ich ohnehin nicht mithalten kann). Giulio will
Englisch lernen und hat mich gefragt, ob wir nicht (in einem zweiten
Tandem-Austausch) Konversation miteinander machen könnten. Falls Sie sich
wundern, warum er nicht bei seiner amerikanischen Ehefrau Englisch lernt: Es
liegt daran, dass sie verheiratet sind und sich, wann immer der eine dem
anderen etwas beizubringen versucht, in die Haare
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