Gilbert, Elizabeth
Teenagerzeit hat er dieselbe
Freundin (die reizende Giuliana, die Luca zärtlich und treffend als acqua e
sapone - »Wasser und Seife« - beschreibt). Alle seine Freunde
kennt er schon seit seiner frühesten Kindheit, und alle stammen aus demselben
Viertel. Jeden Sonntag sehen sie sich zusammen die Fußballspiele an - entweder
im Stadion oder (falls die römischen Mannschaften auswärts spielen) in einer
Bar, und anschließend kehren sie alle wieder in die Wohnblöcke zurück, in denen
sie aufgewachsen sind, um das von ihren Müttern und Großmüttern zubereitete
Abendessen zu verspeisen.
Wenn ich Luca Spaghetti wäre, würde ich auch nicht aus Rom
wegziehen.
Luca ist allerdings schon einige Male durch Amerika gereist.
New York findet er faszinierend, glaubt aber, dass die Menschen dort zu viel
arbeiten - wenn er auch zugibt, dass sie es zu genießen scheinen. Während die
Römer hart arbeiten und sich maßlos darüber aufregen.
Luca war dabei, als ich die Kutteln eines Milchlamms probierte.
Das ist eine römische Spezialität. Gastronomisch betrachtet, ist Rom im Grunde
ein raues Pflaster und bekannt für seine derben Traditionsgerichte wie Kutteln
und Zungen - all die Innereien, die die reichen Leute anderswo wegwerfen.
Meine Lammkutteln schmeckten ganz gut - solange ich nicht darüber nachdachte,
worum es sich handelte. Sie wurden in einer buttrigen Sauce serviert, die
unheimlich lecker war, aber die Innereien hatten eine irgendwie na ja innereiartige Konsistenz. So ähnlich wie Leber, nur breiiger. Ich aß sie brav, bis
ich zu überlegen begann, wie ich dieses Gericht wohl beschreiben würde, und
dachte: Es sieht gar nicht aus wie Innereien. Im
Grunde erinnert es mich an Spulwürmer, Und da schob ich es beiseite und
bat um einen Salat.
»Schmeckt es dir nicht?«, fragte Luca, der das Zeug liebt.
»Ich wette, Gandhi hat in seinem ganzen Leben keine Lamminnereien gegessen«,
sagte ich. »Warum denn nicht?«
»Nein, hat er nicht, Luca. Gandhi war Vegetarier.«
»Aber Vegetarier dürfen das essen«, beharrte Luca. »Weil
Därme nicht mal als Fleisch gelten, Liz. Die sind nur Scheiße.«
21
Zugegeben: Manchmal frage ich mich, was ich hier tue.
Obwohl ich nach Italien gekommen bin, um dem Genuss zu
frönen, wusste ich in den ersten Wochen nicht so recht, wie ich das anstellen
sollte. Vergnügen pur ist - offen gesagt - nicht mein kulturelles Paradigma.
Ich entstamme einem alten krankhaft pflichtbewussten Geschlecht. Die Vorfahren
meiner Mutter waren schwedische Bauern, die auf Fotos aussehen, als ob sie,
falls ihnen je etwas Schönes unter die Augen käme, es mit ihren genagelten
Stiefeln zertreten würden. (Mein Onkel bezeichnet den Clan als »Ochsen«.) Die
Familie meines Vaters stammt von englischen Puritanern ab, diesen großen
vertrottelten Liebhabern von Spaß und Vergnügen. Wenn ich den Stammbaum meines
Vaters bis ins siebzehnte Jahrhundert zurückverfolge, finde ich tatsächlich
puritanische Vorfahren mit Namen wie Diligence (»Eifer«)
oder Meekness (»Sanftmut«).
Auch meine Eltern haben eine kleine Farm, und Arbeit ist meiner
Schwester und mir von Kindesbeinen an vertraut. Man lehrte uns, verlässlich und
verantwortungsvoll zu sein, Klassenbeste und die ordentlichsten und
vertrauenswürdigsten Babysitter der Stadt, Miniaturausgaben unserer schwer
arbeitenden Mutter (die Bäuerin und Krankenschwester war), kurz, zwei kleine
Schweizer Armeemesser: vielseitig und multifunktional. Wir hatten eine Menge
Spaß zu Hause, es wurde viel gelacht, aber die Wände waren mit Aufgabenlisten tapeziert, und Muße habe ich nie erlebt, weder bei mir noch bei
anderen, kein einziges Mal in meinem ganzen Leben.
Allerdings gilt diese Unfähigkeit, sich dem reinen Vergnügen
hinzugeben, für Amerikaner generell. Wir sind eine Nation, die eher nach
Unterhaltung strebt als nach Vergnügen. Amerikaner geben Milliarden aus, um
sich bei Laune zu halten, und zwar für alles Mögliche - von Pornos über Themenparks
bis hin zu Kriegen -, was aber mit stillem Genießen nicht viel zu tun hat.
Amerikaner arbeiten schwerer, länger und angestrengter als so manch anderes
Volk auf der Welt. Allerdings scheinen wir es - wie Luca Spaghetti meint - zu
mögen. Alarmierende Statistiken stützen diese Beobachtung und zeigen, dass sich
viele Amerikaner in ihren Büros glücklicher fühlen als in ihren Familien.
Natürlich arbeiten wir nur notgedrungen so schwer, am Ende der Woche aber
fühlen wir uns ausgebrannt und müssen das
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