Gilbert, Elizabeth
mehr länger in diesem Elend leben
willst? Dass das keiner von euch will. Und es wäre im Übrigen besser, das jetzt
zu tun, als erst im Kreißsaal, wenn dein Muttermund schon offen ist.«
Um diese Zeit herum besuchte ich einmal eine Party in New
York. Ein erfolgreiches Künstlerpaar hatte ein Baby bekommen, und die Mutter,
mit der ich befreundet war, feierte im eigenen Loft die Vernissage ihrer neuen
Bilder, die zuvor in einer Galerie stattgefunden hatte. Ich weiß noch, wie ich
diese Frau, die junge Mutter und Künstlerin, dabei beobachtete, wie sie sich
bemühte, die Gastgeberin zu spielen und gleichzeitig den Säugling zu versorgen
und sich professionell zu ihrem Werk zu äußern. In meinem ganzen Leben habe ich
keinen Menschen mit derartigem Schlafdefizit erlebt. Nie werde ich den Anblick
vergessen, den sie bot, als sie nach Mitternacht in ihrer Küche stand, die Arme
bis zu den Ellbogen in einer Spüle voller Geschirr, und sauber machte. Ihr Mann
(es tut mir Leid, es sagen zu müssen, und mir ist völlig klar, dass sein
Verhalten durchaus nicht typisch für alle Ehemänner ist) befand sich im
Nebenraum, hatte buchstäblich die Füße auf den Tisch gelegt und guckte fern.
Irgendwann fragte sie ihn, ob er ihr nicht helfen wolle, die Küche aufzuräumen,
und er meinte nur: »Lass, Liebling - das machen wir morgen.« Wieder begann das
Baby zu weinen. Die auslaufende Milch hatte das Cocktailkleid meiner Freundin
durchweicht.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben
andere Gäste diese Party mit anderen Eindrücken verlassen. Viele könnten diese
schöne Frau mit ihrem gesunden Baby sehr beneidet haben, um ihre erfolgreiche
Karriere als Künstlerin, ihre Ehe mit einem liebenswerten Mann, ihre schöne
Wohnung, ihr Cocktailkleid. Es gab Leute auf dieser Party, die - hätten sie die
Möglichkeit gehabt - wohl sofort mit ihr getauscht hätten. Sie selbst verbuchte
das Ganze im Nachhinein - sofern sie überhaupt darüber nachdachte - vermutlich
als ermüdenden, aber absolut lohnenden Abend in ihrem insgesamt befriedigenden
Leben als Mutter, Ehefrau und Künstlerin. Ich jedenfalls zitterte während der
ganzen Party geradezu panisch und dachte: Wenn du
jetzt nicht begreifst, Liz, dass auch dir eine solche Zukunft bevorsteht, dann
ist dir nicht mehr zu helfen. Tu was dagegen!
Aber stand ich denn in der Verantwortung, eine Familie zu
haben? Gott - Verantwortung. Dieses
Wort machte mir lange Zeit zu schaffen - bis ich es mir vornahm, bis ich es mir
genauer ansah und in seine Bestandteile zerlegte, die seine wahre Bedeutung
enthüllten: die Fähigkeit nämlich, eine Antwort zu geben ...
Und das, worauf ich letztendlich eine Antwort finden
musste, war die Tatsache, dass jede Faser meines Wesens von mir verlangte, mich
aus dieser Ehe zu retten. Ein Frühwarnsystem irgendwo in meinem Innern
prophezeite mir, dass ich, wenn ich so verkrampft und verbissen weitermachte,
irgendwann an Krebs erkranken würde. Und wenn ich trotzdem Kinder in die Welt
setzte - nur weil ich mich dem Druck oder der Schmach, einige unangenehme
Tatsachen über mich ans Licht zu bringen, nicht stellen wollte -, so wäre dies
ein Akt äußerster Verantwortungslosigkeit.
Was mich am Ende jedoch am nachhaltigsten beeinflusste,
waren die Worte meiner Freundin Sheryl in jener Nacht auf ebenjener Party, als
sie mich im Bad des schicken Lofts unserer Freundin antraf, wo ich mir
schlotternd vor Angst Wasser ins Gesicht spritzte. Sheryl wusste damals nicht, wie
es um meine Ehe stand. Keiner wusste es. Und ich erzählte es ihr auch nicht.
Konnte nicht darüber sprechen. Brachte es einfach nicht über die Lippen. Ich
konnte nur sagen: »Ich weiß nicht, was ich tun soll.« Und ich weiß noch, wie
sie mich an den Schultern packte, mir ruhig lächelnd in die Augen schaute und
einfach nur meinte: »Sag die Wahrheit, sag die Wahrheit, sag die Wahrheit.«
Also habe ich es getan.
Der Ausstieg aus einer Ehe ist jedoch alles andere als
leicht, und nicht nur wegen der damit verbundenen juristischen Komplikationen
und finanziellen Probleme oder der massiven Veränderung des ganzen Lebens.
(»Niemand ist je an der Aufteilung von Möbeln gestorben«, versicherte mir
allerdings meine Freundin Deborah.) Der emotionale Rückstoß macht einen
fertig, der Schock, aus dem Geleise eines konventionellen Lebens geraten zu
sein und all jene beruhigenden Sicherheiten verloren zu haben, die viele
Menschen für immer in diesem Geleise festhalten. Mit dem Ehepartner
Weitere Kostenlose Bücher