Gilbert, Elizabeth
monkey mind nennen, an diesen Gedanken, die
sich von Ast zu Ast schwingen und nur kurz innehalten, um sich zu kratzen,
auszuspucken oder einen Schrei zu tun. Von der fernen Vergangenheit bis in die
Zukunft schwingt sich mein Geist durch die Zeit, streift ungezügelt und
undiszipliniert Dutzende von Ideen pro Minute. Eigentlich wäre das kein
Problem; Schwierigkeiten bereiten mir jedoch die Emotionen, die mit den
Gedanken einhergehen. Glückliche Gedanken machen mich zwar glücklich, aber - hopp!
- wie rasch falle ich wieder in besessenes Grübeln zurück, das diese Stimmung
vertreibt; und plötzlich ist da die Erinnerung an einen Moment der Wut, und ich
rege mich auf und werde stocksauer; und daraus folgert dann mein Geist, dass
der Zeitpunkt gekommen ist, mir selbst Leid zu tun, und prompt stellen sich
Einsamkeitsgefühle ein. Letztlich ist man dann doch, was man denkt. Unsere
Gefühle sind die Sklaven unserer Gedanken und wir die Sklaven unserer Gefühle.
Das andere Problem bei alldem Schwingen durch den Gedankendschungel
besteht darin, dass man sich nie da befindet, wo man gerade ist. Immer gräbt
man in der Vergangenheit oder stochert in der Zukunft herum, nur selten aber
verweilt man im Hier und Jetzt. Bei meiner lieben Freundin Susan ist das zu
einer festen Gewohnheit geworden, so daß sie - wann immer sie einen schönen Ort
erblickt - geradezu panisch ausruft: »Wie schön es hier ist! Irgendwann muss ich
noch mal hierher kommen.« Und es erfordert all meine Überredungskünste, sie
davon zu überzeugen, dass sie bereits da ist.
Wenn man die Vereinigung mit dem Göttlichen sucht, ist dieses Wirbeln der
Gedanken ein Problem. Nicht umsonst bezeichnet man Gott als Präsenz - weil
Gott nämlich da ist und in diesem Augenblick da ist. Nur in der Gegenwart
finden wir Ihn, nur im Jetzt.
Im Jetzt zu bleiben erfordert jedoch Hingabe und zielgerichtete
Konzentration. Unterschiedliche Meditationstechniken lehren diese
Zielgerichtetheit auf verschiedene Weise, zum Beispiel solle man einen
Lichtpunkt fixieren oder das An- und Abschwellen seines Atems beobachten. Meine
Meisterin lehrt Meditation mit Hilfe von Mantras, heiligen Worten oder Silben,
die man konzentriert wiederholt. Mantras besitzen eine doppelte Funktion. Zum
einen geben sie dem Geist eine Beschäftigung. Es ist, als habe man dem Affen zehntausend
Knöpfe hingeschoben und ihm gesagt: »Schichte diese Knöpfe nun Stück für Stück
zu einem Haufen auf.« Das fällt dem Affen beträchtlich leichter, als wenn man
ihn nur in einen Winkel verbannt und von ihm verlangt, brav sitzen zu bleiben.
Der zweite Zweck der Mantras besteht darin, uns buchstäblich in einen anderen
Zustand zu transportieren, und zwar als säßen wir in einem Ruderboot und
ruderten über die windgepeitschte See des Geistes. Wann immer wir in eine
gedankliche Gegenströmung geraten, kehren wir einfach zum Mantra zurück,
klettern wieder ins Boot und rudern weiter. Die großen Sanskritmantras bergen
angeblich unvorstellbare Kräfte und die Fähigkeit, uns - sofern wir
dabeibleiben - bis zu den Ufern des Göttlichen zu rudern.
Eins meiner zahllosen Probleme mit dem Meditieren besteht
darin, dass das mir aufgegebene Mantra - Om Namah Shivaya - einfach
nicht richtig in meinem Hirn einrastet. Ich mag seinen Klang, ich liebe seine
Bedeutung, aber von mühelosem Hineingleiten in die Meditation kann keine Rede
sein. Im Gegenteil, wenn ich versuche, Om Namah Shivaya zu
wiederholen, bleibt es mir im Hals stecken, mir wird eng um die Brust und ganz
flattrig. Und nie hab ich's geschafft, die Silben und meinen Atemrhythmus in
Einklang zu bringen.
Schließlich spreche ich eines Nachts meine Zimmergenossin
Corella darauf an. Das Eingeständnis, wie schwer es mir fällt, mich auf die
Wiederholung des Mantras zu konzentrieren, ist mir zwar peinlich, aber sie ist
Meditationslehrerin. Vielleicht kann sie mir helfen. Auch bei ihr, erzählt sie
mir, seien anfangs beim Meditieren die Gedanken auf Wanderschaft gegangen,
heute jedoch sei das Meditieren die große und alles verwandelnde Freude ihres
Lebens.
»Eigentlich setz ich mich nur hin und mach die Augen zu«,
sagt sie, »und dann muss ich nur ans Mantra denken und bin im
Himmel.«
Als ich das höre, wird mir fast übel vor Neid. Doch Corella
praktiziert schon seit ebenso vielen Jahren Yoga, wie ich auf der Welt bin. Ich
frage sie, ob sie mir zeigen kann, wie genau sie das Om Namah
Shivaya in ihrer Meditation spricht. Atmet sie bei jeder Silbe
einmal ein?
Weitere Kostenlose Bücher