Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
Direktorin.«
»Ich habe zwar keine Ahnung, in was, zum Teufel, Sie Ellie hineingeritten haben, aber ich habe das Gefühl, es hat mit den verschwundenen Mädchen zu tun.« Wie ein straff gespanntes Seilvibrierte ihre Stimme vor unverhohlener Wut und Abneigung.
»Elena kann sich glücklich schätzen, eine Freundin wie Sie zu haben.«
»Wenn ihr irgendetwas zustoßen sollte, dann knall ich Sie eigenhändig ab, da können Sie zehnmal ein Erzengel sein.« Aus ihrem drohenden Ton war trotzdem riesengroße Besorgnis herauszuhören.
Hätte jemand außer Sara eine solche Drohung ausgesprochen, wäre die Person umgehend bestraft worden, denn wenn erst einmal bekannt wurde, dass ein Erzengel schwach war, konnte das den Tod Tausender zur Folge haben. Aber ein Heuchler war Raphael nie gewesen. In der Stille hatte er gewissenlos gehandelt. Indem er diese Frau gezwungen hatte, ihre Freundin zu verraten, hatte er eine Grenze überschritten, die tabu war. Sie hatte noch viel bei ihm gut. »Wollen Sie mir etwas mitteilen, Frau Direktorin?«
»Im Battery Park wurden gerade fünf Tote gefunden, alle blutleer. Sie waren sehr gut versteckt.«
Uram hatte kaum Zeit verstreichen lassen, um seine Energie wieder aufzutanken. »Sind die Behörden benachrichtigt?«
»Tut mir leid, aber das konnte ich nicht verhindern«, sagte Sara, und zeigte ihm damit, wie sehr sie die Hand am Puls der Stadt hatte. »Aber die Toten sind jetzt in Leichenwagen unterwegs– Sie sollten wohl am besten für ihr Verschwindensorgen.Aber bringen Sie dabei das Begleitpersonal nicht um.«
»Das wird gar nicht nötig sein.« Irgendwann nach seinem zweihundertsten Geburtstag hatte Schlangengift die Gabe erlangt, wie eine Kobra in die Körper von Menschen einzudringen– Elena wäre bestimmt entsetzt, wenn sie es wüsste. Nur selten wandte der Vampir diese Gabe an, denn Neha wäre ganz und gar nicht erfreut gewesen, wäre ihr zu Ohren gekommen, welch kostbaren Mitarbeiter sie verloren hatte. Heute jedoch würde sich diese Gabe als nützlich erweisen– keines von Urams Opfern durfte unter dem Mikroskop der Pathologie landen. Vielleicht war Holly die einzige Überlebende, aber trotzdem war es möglich, dass Uram die anderen gezwungen hatte, von seinem giftigen Blut zu trinken… oder noch Schlimmeres. »Danke, dass Sie mich informiert haben.«
»Danken Sie mir nicht. Beschützen Sie einfach Ellie vor dieser Bestie, die Sie entfesselt haben.«
Ja, Uram war wirklich eine Bestie. Mit ungeheuerlichen Kräften. Auch wenn alles ganz still war, kein Lüftchen wehte, begann Raphaels Herz auf einmal wie wild zu klopfen. »Besprechen Sie die Einzelheiten mit Dmitri.« Er reichte dem Vampir das Telefon und schwang sich vom Balkon. Der Flügel tat ihm weh, aber er kämpfte sich weiter aufwärts, versuchte dabei, mit Illium in Kontakt zu treten.
Nichts als dumpfe Stille– keine Todesstille, aber beinahe. Als er es mit Elena versuchte, bekam er etwas mehr zu spüren: Schmerz, Übelkeit und ohnmächtige Wut.
Er schickte Dmitri einen Gedanken. Vergiss die Toten fürs Erste. Such Elena.
Ich setze mich mit meinen Männern in Verbindung.
Jason. Der schwarz geflügelte Engel beherrschte die Koordination von Raphaels Himmlischer Garde meisterlich. Illium ist gefallen. Mach ihn ausfindig.
Bin schon unterwegs. Ich informiere die Garde.
Raphael flog jetzt schneller, verfluchte seine eigene Dummheit. Für die Heilung brauchte Uram keine Zeit der Ruhe, nicht wenn der Prozess mit Blut beschleunigt werden konnte. Noch ein Vorteil der Blutgeborenen, noch ein Grund mehr, sich in seiner Wahl bestätigt zu fühlen. Im Moment hielt Uram sich für geistig gesund– er hatte begonnen, zu denken und Entscheidungen zu treffen, aber seine Persönlichkeit befand sich auf unterstem Niveau, sein Gehirn schwamm in Gift.
Während Raphael sich beeilte, um rasch bei Elena zu sein, dachte er darüber nach, dass diese Verwandlung natürlich nicht von heute auf morgen vonstatten gegangen war. Urams Bedienstete mussten alle davon gewusst haben, nur hatten sie geschwiegen. Und anders als Raphael mit seinen machtvollen Sieben hatte er keine Mächtigen in seiner Nähe geduldet. Niemanden außer Michaela. Angewidert verzog Raphael den Mund– er war sich ganz sicher, dass die Frau, die man einst die Königin von Byzanz genannt hatte, ihrem Liebhaber geholfen hatte, die Gesetze zu umgehen, die genau solch einen Fall hätten verhindern sollen. Vielleicht hatte sie Urams Tod tatsächlich gewollt, aber mehr noch
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