Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
und sein Herz anfraß, schickte er seiner Sterblichen einen letzten Gedanken: Wenn das der Tod ist, Gildenjägerin, dann treffen wir uns auf der anderen Seite wieder.
Sara starrte in den Himmel, Tränen liefen ihr über die Wangen. Der Erzengel von New York fiel, und in seinen Armen hielt er einen Körper mit beinahe weißen Haaren. »Oh nein, Ellie, das darfst du mir nicht antun«, flüsterte sie heiser. Sobald klar war, dass die Dinge schlecht standen, war sie mit ihrer Armbrust hergeeilt, denn sie wusste, dass Ellie ihre Hilfe brauchte. Nur Minuten später war auch Ransom mit einer Waffe in der Hand aufgetaucht. Aber keiner von ihnen konnte helfend eingreifen, denn der Kampf hatte zu hoch in der Luft stattgefunden.
Und jetzt fiel Raphael, und sie konnten nichts machen.
Es kam ihr so vor, als sähe sie alles in Zeitlupe. Ihre beste Freundin lag mit zerschmettertem Körper in den Armen eines Erzengels, dessen prächtige Flügel nur noch Fetzen waren. Es blieb ihnen vor allem keine Zeit mehr, eine sanfte Landung für die beiden vorzubereiten. Der Trümmerhaufen, auf dem sie standen, war voller zerborstener Ziegelsteine, herausgerissener Rohre, sogar ein Hackbeil, dessen Klinge unter der Schuttlawine hervorschaute, befand sich darunter. Scharfe Kanten, wohin man auch sah, alles war scharf und spitz. Tödlich.
Sara schluchzte in Ransoms unbeholfener Umarmung, sie weinte für sie beide, denn er würde sich durch Wut Erleichterung verschaffen. Vor ihren Augen verschwamm alles, und einen Moment lang dachte sie, sie würde sich die vielen Flügelpaare nur einbilden. Wie sanfte, dunkle Schatten in der stockfinsteren Nacht, die über Manhattan hereingebrochen war, scharten sich die Flügel um Raphael.
»Sie steigen wieder auf!« Sie riss vor Aufregung an Ransoms Jacke, starrte nach oben. »Sie steigen auf!« Raphael und Elena waren in der Menge der Flügel nicht mehr zu erkennen, aber das war nicht weiter wichtig. Wichtig war nur, dass sie nicht auf die Erde aufgeschlagen und umgekommen waren, während sie hilflos danebengestanden hätte. »Ellie lebt noch.«
Ransom widersprach ihr nicht, wenngleich beide wussten, dass Ellie Verletzungen davongetragen hatte, die eigentlich kein Mensch überleben konnte. Er hielt sie einfach nur im Arm und ließ ihr ihren Glauben. Zumindest vorerst noch.
Eine Woche später knallte Sara wutentbrannt den Hörer auf die Gabel und starrte Ransom an, der ihr gegenüber im Büro saß, während Deacon unerschütterlich an ihrer Seite stand. Ihr Mann. Ihr Fels in der Brandung. »Sie weigern sich, irgendwelche Informationen über Raphael oder Ellie herauszurücken.«
Ransom kniff die Lippen zusammen. »Und mit welcher Begründung?«
»Engel brauchen ihre Entscheidungen nicht zu rechtfertigen.« Saras Mundwinkel zuckten. Vor lauter Kummer wusste sie nicht mehr ein noch aus. »In dieser Nacht ist uns wohl allen deutlich vor Augen geführt worden, dass Erzengel sehr wohl sterben können. Kann sein, dass Raphael tot ist und wir es mit einer neuen Führung zu tun haben.«
»Das gibt ihnen noch lange nicht das Recht, sie von uns fernzuhalten!« Auf einmal war es um Ransoms Gelassenheit geschehen, und er ließ seine Faust krachend auf die Armlehne fallen. »Wir sind doch ihre Familie.« Er erstarrte. »Haben sie Ellie etwa diesem Scheißkerl ausgeliefert?«
Sara schüttelte den Kopf. »Jeffreys Anrufe haben sie total abgeblockt. Zumindest geht bei mir noch jemand ran.«
»Mit wem hast du denn gesprochen?«
»Dmitri.«
Ransom stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen, als könnte er nicht mehr stillsitzen. »Er ist ein Vampir.«
»Ich habe keine Ahnung, was, zum Teufel, hier vor sich geht.« Es schien, als wären es nicht die Engel, sondern die Vampire, die die Fäden in der Hand hatten. Deacon hatte seine Kontakte spielen lassen– und er hatte ein paar sehr ungewöhnliche Bekanntschaften–, aber auch er war nur auf Schweigen gestoßen. Dmitri hatte den Laden übernommen, lenkte jetzt mehr oder weniger die Geschicke Manhattans.
»Vielleicht hat das gar nichts damit zu tun«, fuhr Sara fort, »aber kurz nach Urams Tod hat ein weiterer Erzengel, Michaela, die Stadt verlassen.« Jeder wusste, welcher Erzengel gestorben war. Es war die Nachricht des Jahrtausends schlechthin, obwohl sie nicht von den Erzengeln selbst stammte.
»Drei Erzengel in einer Stadt?«, sagte Ransom kopfschüttelnd. »Das kann doch kein Zufall sein. Was meinst du, Deacon?«
»Du hast sicher recht. Aber das
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