Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
aus. Dieser Erzengel, dieser Unsterbliche, dem das menschliche Leben gar nichts galt, hatte es gewagt, Marguerite Deverauxs vergängliches Leben gegen Elena auszuspielen– das ertrug sie nicht. Auch wenn es völlig aussichtslos war, wollte sie ihm wehtun. »Nehmen Sie ja nie wieder…«
Er ließ sie fallen.
7
Sie schrie… mit den Händen versuchte sie sich noch vor der unbarmherzigen Liebkosung der kostbaren Kacheln zu schützen und landete schließlich hart auf dem Hinterteil. »Oh nein!« Es hatte ihr den Atem verschlagen. Sie saß auf dem Boden und fluchte innerlich, dass sie ihre Überraschung nicht ganz hatte verbergen können. Über ihr stand Raphael, wie eine Erscheinung aus einem Gemälde, auf dem Himmel und Hölle zu sehen waren. Irgendeines davon. Beides. Kein Wunder, dass ihre Vorfahren sie für göttliche Schutzengel gehalten hatten, doch bei ihm war sie nicht sicher, ob er nicht vielleicht doch eher ein Dämon war. »Das hier ist aber nicht die Gilde«, brachte sie nach einer viel zu langen Pause endlich über die Lippen.
»Ich habe mich entschlossen, hier mit Ihnen zu reden.« Er hielt ihr hilfreich die Hand hin.
Ohne Notiz davon zu nehmen, erhob sie sich etwas mühsam und verkniff sich gerade noch, ihr geprelltes Steißbein zu massieren. »Lassen Sie Ihre Passagiere immer fallen?«, murmelte sie. »Nicht gerade sehr elegant.«
»Seit Jahrhunderten habe ich schon keinen Menschen mehr getragen«, erwiderte er, und in der Dunkelheit wirkten seine blauen Augen beinahe schwarz. »Ich hatte ganz vergessen, wie zerbrechlich ihr seid. Sie bluten im Gesicht.«
»Was?« Mit der Hand fuhr sie sich über die brennende Stelle an ihrer Wange. Der Schnitt war so winzig, dass sie ihn kaum fühlte. »Woher habe ich das?«
»Der Wind, Ihre Haare.« Er drehte sich um und ging auf den gläsernen Aufbau zu. »An Ihrer Stelle würde ich es wegwischen, es sei denn, Sie wollen den Vampiren hier im Turm einen Schlummertrunk anbieten.«
Mit dem Blusenärmel rieb sie das Blut weg, dann ballte sie die Fäuste und bohrte ihre Augen in seinen sich entfernenden Rücken. »Wenn Sie sich einbilden, dass ich Ihnen jetzt überallhin wie ein Dackel hinterherlaufe…«
Er sah sie über die Schulter hinweg an. »Ich kann Sie ohne Weiteres in die Knie zwingen, Elena.« Sein Gesicht strahlte nicht die geringste Menschlichkeit aus, nur eine Macht, deren Strahlen so hell waren, dass sich Elena am liebsten davor geschützt hätte. Mühsam zwang sie sich, nicht zurückzuweichen. »Soll ich Sie wirklich dazu zwingen?«
Sofort wurde ihr klar, dass er genau das tun würde. Irgendetwas, das sie an diesem Abend entweder gesagt oder getan hatte, hatte Raphael bis zum Äußersten gereizt. Wenn sie das hier unbeschadet überstehen wollte, musste sie ihren Stolz hinunterschlucken… sonst würde er ihn brechen. Es war eine bittere Erkenntnis, die ihr schwer im Magen lag. »Nein«, sagte sie schließlich. Wenn sich jemals die Gelegenheit ergab, dann würde sie ihm für diese Kränkung die Kehle aufschlitzen.
Raphael sah sie einige Minuten lang an, seine kalte Zurückhaltung ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Um sie herum brannten die Millionen Lichter einer Großstadt, doch hier auf dem Dach herrschte nichts als Dunkelheit– abgesehen von dem Leuchten, das von ihm selbst ausging. Elena hatte von diesem Phänomen gehört, doch nie geglaubt, dass sie es selbst einmal erleben würde. Denn wenn ein Engel leuchtete, wurde er zu einem Wesen von unumschränkter Macht– in der Regel wurde diese Macht zum Töten oder Zerstören verwendet. Ein Engel strahlte, kurz bevor er etwas oder jemanden in tausend Stücke zerriss.
Elena erwiderte seinen Blick, sie wollte– konnte– nicht klein beigeben. Einmal so weit gekommen, würde sie keinen Schritt zurück machen. Sonst verlor sie alle Selbstachtung.
Auf die Knie und bettle, dann überlege ich es mir vielleicht noch mal.
Sie hatte es damals nicht getan. Und würde es auch jetzt nicht tun. Ganz gleich, wie hoch der Preis sein würde.
Als sie schon annehmen musste, dass alles verloren war, drehte Raphael sich plötzlich um und ging auf den Fahrstuhl zu. Innerhalb eines Atemzuges war das Strahlen erloschen. Sie folgte ihm, dabei stellte sie verärgert fest, dass ihr der Schweiß über den Rücken lief und dass sie einen beißenden Geschmack im Mund hatte: Angst. Doch über allem lag eine immense Wut.
Der Erzengel Raphael war von nun an die am meisten gehasste Person in ihrem Kosmos.
Er hielt
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