Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
werden.«
Ärgerlich verzog Raphael das Gesicht. »Dann hätte er die Chance lieber einem anderen überlassen sollen. Warum sollte man das Geschenk der Unsterblichkeit empfangen, wenn man doch nur ein Mensch sein will.«
»Da muss ich Ihnen zustimmen.« Sie zuckte ratlos die Achseln. »Nach einem Aufstand in der Nachbarschaft musste Mr Benson wegziehen.«
»In Ihrer Umgebung ist man nicht gerade sehr tolerant.«
»Nein.« Und ihr Vater hatte diese intolerante Meute damals angeführt. Wie demütigend für ihn, dass seine eigene Tochter auch ein solches Ungeheuer war. »Ein paar Jahre später kam Slater Patalis vorbei, als er mordend durch das Land zog.« Ihr gefror das Blut in den Adern bei dem unaussprechlichen Grauen, das sich mit diesem Namen verband.
»Eines unserer wenigen Versehen.«
Kein Versehen eigentlich, dachte sie, jedenfalls nicht, wenn er vorher normal war. Doch sie konnte nichts sagen, ohne Sara zu verraten. »Sie sehen, ich bin mit der Angst groß geworden. Hinter der Ecke lauerte immer der böse Wolf.«
»Sie lügen mich an, Elena.« Vor einer massiven schwarzen Tür hielt er an. »Doch diesmal lasse ich es Ihnen durchgehen. Sie werden mir noch früh genug erzählen, warum Sie so leichtfertig mit Ihrem Leben spielen.«
Elena fragte sich, ob wohl Ariel und Mirabelle in seinen Akten standen und er die Wahrheit über die Tragödie kannte, die ihre Mutter ausgelöscht und ihren Vater in einen Fremden verwandelt hatte. »Sie kennen das Sprichwort über den Hochmut.«
»Eben.« Ein kurzes Nicken. »Heute Nacht werde ich Ihnen zeigen, warum diese Huren, wie Sie sie genannt haben, ihre Vampirliebhaber oder Geliebten begehren.«
»Sie können mir sagen oder zeigen, was Sie wollen, aber meine Meinung wird sich nicht ändern.« Sie runzelte die Stirn. »Diese Geschöpfe sind auch nicht besser als Drogensüchtige.«
»Dieser Eigensinn«, murmelte er und stieß die Tür auf.
Geflüster, Gelächter, Gläserklirren. Einladende Klänge. Herausfordernd sah Raphael sie an. Würde sie es wagen einzutreten? Närrin, die sie war, nahm sie die Herausforderung an– ließ noch schnell das Messer aus dem Armgurt in die Handfläche gleiten– und trat ein. Dabei spürte sie ganz deutlich die Gegenwart des Erzengels in ihrem Rücken, die Verwundbarkeit ihrer Wirbelsäule… als ihr vor Erstaunen der Atem stockte.
Die Vampire veranstalteten eine Cocktailparty.
Blinzelnd nahm sie die gedämpfte romantische Beleuchtung wahr, die Plüschsofas, die Vorspeisenteller und die funkelnden schlanken Sektgläser. Ganz offensichtlich war das Essen für die menschlichen Gäste bestimmt, Frauen und Männer, die sich lachend mit den Vampirgastgebern unterhielten und flirteten. Abendanzüge schmiegten sich eng an die leicht muskulösen Schultern ihrer Träger, während die Cocktailkleider die ganze Bandbreite von lang und eng anliegend bis kurz und sexy zeigte. Schwarz und Rot dominierten, wobei sich hie und da auch ein verwegenes Weiß zeigte.
Bei ihrem Anblick hörte die Unterhaltung schlagartig auf. Dann sprangen die Blicke über sie hinweg, hinter sie, und Elena konnte regelrecht hören, wie der Raum kollektiv erleichtert aufatmete– der Erzengel hatte die Jägerin an der Kandare. Sie unterdrückte den kindischen Impuls, die Menge vom Gegenteil zu überzeugen, und steckte das Messer diskret zurück in die Scheide.
Gerade noch rechtzeitig, denn ein Vampir kam mit einem Glas Wein auf sie zu. Zumindest hoffte sie, dass in dem Glas Wein war– die dunkelrote Flüssigkeit konnte auch ebenso gut Blut sein. »Hallo, Elena.« Die Worte erklangen in einem wundervollen Bass, doch das wahrhaft Berauschende an diesem Mann war sein Geruch– schwer und sinnlich.
»Türvampir«, flüsterte sie mit rauer Stimme. Erst als sie Raphaels Körperwärme spürte, wurde ihr bewusst, dass sie vor der unsichtbaren Liebkosung zurückgewichen war.
»Ich heiße Dmitri.« Er lächelte und entblößte eine Reihe strahlend weißer Zähne, nirgends ein Reißzahn in Sicht. Ein alter, erfahrener Vampir. »Kommen Sie, tanzen Sie mit mir.«
Hitze wallte zwischen ihren Beinen auf, eine ganz unfreiwillige Reaktion auf Dmitris Geruch, ein Geruch, der eine ganz besondere, äußerst erotische Anziehung auf die Jägerin ausübte. »Hören Sie sofort damit auf. Ich schwöre Ihnen, ich kastriere Sie sonst.«
Er blickte auf das Messer hinunter, das an den Reißverschluss seiner Hose gepresst wurde. Als er wieder aufschaute, war er mehr als verärgert. »Wenn Sie
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