Gilde der Jäger 01 - Engelskuss
die Rose von unschätzbarem Wert. Er hatte sie Elena geschenkt, aus Gründen, die ihm selbst nicht ganz klar waren. Doch die Rose würde ihr gehören. Denn sie trug jetzt ihren Namen.
Mit dem Behälter in der Hand begab er sich hinauf zum Penthouse, genauer gesagt in dessen Zentrum, in einen Raum aus purem Schwarz. In den Augen der Menschen war dieser Raum böse. Dunkelheit wurde immer gleich mit böse gleichgesetzt. Doch die Dunkelheit konnte auch einfach nur ein Werkzeug sein– weder gut noch schlecht.
Alles hing von der Seele der Person ab, die das Werkzeug benutzte. Raphael hielt den Behälter mit der Rose fest umklammert. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten wusste er nicht mehr, wer er war. Gut war er nicht. Das war er nie gewesen. Doch böse war er auch nie gewesen… bis heute.
Gift
Narren waren sie allesamt. Sie hatten geglaubt, er würde sterben.
Er lachte trotz des Schmerzes, der ihm in die Augen schnitt und in seinen Körper; Todesqualen, die seine Eingeweide zu Wasser und seine Knochen zu Brei zu verwandeln drohten. Er lachte, bis sein Lachen der einzige Laut im Universum war, die einzige Wahrheit.
Oh nein, er würde nicht sterben. Er würde diese Prüfung, die sie Gift nannten, überstehen. Ein Vorwand. Eine Maßnahme, um ihre eigene Macht zu festigen. Er würde nicht nur überleben, sondern als ein Gott daraus hervorgehen. Und dann würde der Kader der Zehn vor Angst erzittern, und Ströme von Blut würden die Erde dunkel färben.
Saftiges, sättigendes, sinnliches… Blut.
12
Elena trat aus dem Turm ins Freie und lief einfach drauflos, ohne von den wartenden Taxen Notiz zu nehmen. In ihr brannte ein noch nie da gewesener Zorn– leidenschaftlich und tödlich–, der ihr zwar körperliche Schmerzen bereitete, sie aber auch am Leben erhielt, sie weitermachen ließ.
Dieses Scheusal. Dieser verdammte Mistkerl.
Ihre Augen brannten. Doch sie wollte auf keinen Fall weinen. Das würde ja bedeuten, dass sie von Raphael enttäuscht war, mehr von ihm erwartet hätte, mehr Menschlichkeit.
Als ihr ein vertrauter Geruch in die Nase stieg, drehte sie sich auf dem Absatz um, Messer gezückt. »Geh nach Hause, Vamp.« Ihre Stimme bebte vor Gereiztheit.
Dmitri verbeugte sich mit einem Kratzfuß. »Oh, könnte ich doch dem Wunsch Eurer Ladyschaft Folge leisten. Leider, leider«, er richtete sich wieder zu voller Größe auf, und aus seinen Gläsern starrte ihr eigenes Spiegelbild sie wütend an, »habe ich anderweitige Befehle.«
»Tun Sie immer, was Ihnen Ihr Gebieter befiehlt?«
Er verzog den Mund. »Ich bleibe bei Raphael aus Loyalität.«
»Ja, natürlich. Wie ein kleines Hündchen.« Sie schlug ihre Worte wie Krallen in ihn, sie wollte Blut sehen. »Machen Sie auch Männchen und betteln, wenn er es verlangt?«
Plötzlich stand Dmitri vor ihr, und bevor sie noch Luft holen konnte, hatte er ihr Messer gepackt. »Treiben Sie es nicht zu weit, Jägerin. Ich bin der Chef von Raphaels Sicherheitsabteilung. Wenn es nach mir ginge, lägen Sie jetzt als schreiendes Bündel in Ketten, und es würde Ihnen das Fleisch von den Knochen gekratzt.«
Durch seinen erotischen Duft wurde das Bild noch barbarischer. »Hatte Raphael Ihnen nicht befohlen, die Duftspielchen zu unterlassen?« Sie ließ ein Messer aus dem Armgurt in ihre schwächere Hand gleiten. Schwächer, nicht schwach. Alle Jäger konnten mit beiden Händen kämpfen.
»Das war gestern Nacht.« Er beugte sich näher zu ihr, sein Gesicht war vollendet, ein grausamer Zug umspielte seine Lippen. »Heute ist er wahrscheinlich stocksauer auf Sie. Da wird es ihm nichts ausmachen, wenn ich ganz unauffällig ein wenig nasche.« Als er sie anstrahlte, entblößte er mit Absicht seine Reißzähne.
»Hier auf offener Straße?«, fragte sie und schaute zu seiner Kehle hoch; dabei spürte sie lebhaft den Druck seiner Erektion.
Er sah sich nicht einmal um. »Wir sind in der Nähe des Erzengelturms. Diese Straßen gehören uns.«
»Aber«, sie lächelte, »ich… nicht!« Sie holte mit dem Messer aus und schnitt einmal quer durch seine Kehle.
Aus der Halsschlagader kam das Blut herausgespritzt, doch sie hatte sich bereits vorsorglich geduckt. Dmitri griff sich an den Hals und fiel auf die Knie, dabei verlor er seine Sonnenbrille, und sie sah seine lodernden Augen. Es stand ihr eigener Tod darin.
»Stellen Sie sich doch nicht so an«, murmelte sie, während sie das Messer am Gras sauber wischte und zurück in die Scheide steckte. »Wir wissen doch beide ganz genau,
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