Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
habe?«
»Sire, ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Verschwinde, Illium, bevor ich vergesse, wie sehr sie an dir hängt.«
Er hatte vollkommen irrational reagiert, zumal einem Engel gegenüber, der schon längst seine Loyalität unter Beweis gestellt hatte, der sein Leben für Elena geben würde. Noch nie hatte sich Raphael so hilflos seinen Emotionen ausgesetzt gefühlt.
»Eines Tages wird sie dich töten. Sie wird dich zu einem Sterblichen machen.«
Er hatte darunter eine körperliche Schwächung verstanden, aber was nun, wenn Lijuan ihn eigentlich hatte warnen wollen vor einem immer weicher werdenden Herzen, das seine kalte Vernunft, mit der er bislang geherrscht hatte, zum Schmelzen brachte? »Verstand oder Gefühl«, sagte er zu Elena, die das Messer nach einer komplizierten Bewegungsabfolge wieder zurück in die Scheide steckte, »wofür würdest du dich entscheiden?«
Über die Schulter hinweg lächelte sie ihn belustigt an. »So einfach ist das nicht. Verstand ohne Gefühl ist doch oft nur ein Deckmäntelchen für Grausamkeit, und Gefühl ohne Verstand dient als Entschuldigung für alle möglichen Ausschweifungen.«
»Ja«, sagte er und dachte dabei an das unbarmherzige Monster, zu dem er in dem Zustand der Stille geworden war.
Als Elena auf ihn zukam, schwenkte sie provozierend ihre Hüften, durch die hohen, dünnen Stiefelabsätze reichte sie ihm jetzt knapp übers Kinn. »Vergisst du auch nicht, dass Besitzansprüche gegenseitig sind?«
»Ich werde dich nicht betrügen, Elena.« Allein dass sie ihm das zutraute, brachte ihn auf.
»Du brauchst mich nicht anzufauchen, Erzengel.« Sie schlüpfte an ihm vorbei, öffnete einen Reißverschluss ihrer Tasche, in der sie ihre Waffen aufbewahrte, und holte ein kleines Kästchen hervor. »Ich habe auch ein Geschenk für dich.«
Freudige Überraschung malte sich auf seinen Zügen. Seit so vielen Jahrhunderten bekam er schon Geschenke. Aber meist hatten sie ihm nichts bedeutet, Sterbliche und Unsterbliche buhlten gleichermaßen um seine Gunst, um Macht und Besitz, kleine oder große Erfolge. »Hast du es in der Zufluchtsstätte gekauft?«
»Nein.«
»Wie hast du es denn besorgt?«
»Ich habe da so meine Quellen.«
Sie stellte sich vor ihn, öffnete das Kästchen und holte einen Ring heraus.
Einen Ring aus Bernstein.
»Jetzt«, sagte sie und schob ihm den Ring auf den entsprechenden Finger der linken Hand, »bist du für alle Zeit gebunden.«
Ein ganz neues Gefühl erfasste ihn, ließ sein Herz höher schlagen; er hielt den Ring dicht vor die Augen. Die Fassung war aus Platin, massiv und solide, der Bernstein ein polierter quadratischer Würfel. Sehr dunkel, noch nie hatte er so dunklen Bernstein gesehen … und im Herzen des Steins schimmerte es weiß. Fasziniert zog er den Ring ab und hielt ihn ins Licht. Die Farbtöne änderten sich fortwährend, bald wurden sie hell, bald dunkel.
Dann sah er auf einmal die Inschrift. Knhebek.
Eine Zeit lang hatte er in Maghreb gelebt, war durch Marokko gereist, bevor er Erzengel wurde, dort hatten die jungen Männer dieses Wort den schwarzäugigen Schönheiten zugeflüstert, die dann errötend die Augen niederschlugen.
Ich liebe dich.
Sein Herz machte einen Sprung. Und als er den Ring auf den Finger zurückschob, sagte er: »Shokran.«
Ein Strahlen breitete sich über ihr Gesicht aus. »Gern geschehen.«
»Sprichst du die Sprache deiner Großmutter?« Schützend umschloss er den Ring mit den Fingern, seit Jahrhunderten schon hatte ihm nicht mehr so viel an einem Gegenstand gelegen.
»Ich kenne nur die paar Worte meiner Mutter.« Lächelnd erinnerte sie sich – es waren glückliche Erinnerungen. »Sie hat das marokkanische Arabisch immer mit dem Pariser Französisch und dem Englischen durcheinandergebracht. Aber wir waren ja daran gewöhnt, wir wussten schon, was sie gemeint hat.« Selbst Jeffrey.
Damals hatte er gelacht, dachte sie und erinnerte sich plötzlich wieder daran. Ihr Vater hatte über das Sprachendurcheinander ihrer Mutter gelacht, aber eigentlich nicht über sie, sondern über sich selbst.
»Gnade«, sagte er und hielt sich den Kopf. »Ich bin doch nur ein einfacher Junge vom Land. Ich kann keine exotischen Sprachen.«
»Mädchen.« Glitzernde, blasssilberne Augen, aus denen der Schalk sprach. »Glaubt eurem Vater kein Wort. Er spricht Französisch wie ein Franzose.«
»Elena, wo bist du denn gerade?« Sanft hob er ihr Kinn, bis sie in seine blauen Augen sah, ein Blau, in dem sie ertrinken
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