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Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Gilde der Jäger 02 - Engelszorn

Titel: Gilde der Jäger 02 - Engelszorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N. Singh
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dass sie von jetzt ab keinen anderen Mann mehr an sich heranlassen würde, nicht einmal einen guten Freund. Es käme ihr wie Verrat am eigenen Körper vor. »Du bist aber auch gar nicht arrogant.«
    »Zwischen uns«, sagte er bedächtig, als müsse er sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen, »ist das vielleicht auch keine Schwäche, sondern eher eine Stärke.«
    Überrascht wandte sie den Kopf. »Im Ernst? Dann erzähl mir etwas von dir.«
    Als er die Daumen in eine besonders verhärtete Stelle bohrte, stöhnte sie laut auf. »Herr, erbarme dich!«
    »Den Herrgott solltest du nicht um Erbarmen bitten.« In seiner Stimme lag ein besitzergreifender Unterton, der ihr allmählich vertraut wurde. »Was möchtest du denn gern wissen?«
    Elena legte gleich mit der erstbesten Frage los, die ihr in den Sinn kam. »Leben deine Eltern noch?«
    Alles um sie herum schien zu erstarren. Die Wassertemperatur sank so rapide, dass ihr vor Erstaunen fast die Luft wegblieb, ihr Herz schlug vor Angst wie wild. »Raphael!«
    »Ich muss mich schon wieder entschuldigen.« Sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Hals, das Wasser wurde wieder wärmer, bis ihre Hautfarbe nicht mehr in Leichengrau überzugehen drohte. »Mit wem hast du dich denn darüber unterhalten?«
    Vielleicht war die Wassertemperatur wieder tropisch, seine Stimme hingegen blieb arktisch. »Mit niemandem. Nach den Eltern zu fragen ist doch nichts Ungewöhnliches.«
    »Bei meinen Eltern schon.« Heftig drückte er sie an sich, schlang die Arme um ihre Taille.
    Elena hatte das seltsame Gefühl, dass er bei ihr Trost suchte. Bei einem Wesen von solch unvorstellbarer Macht, einer Macht, die für Elena unvorstellbar war, war es in der Tat ein verwegener Gedanke, aber sie erwiderte seine Umarmung sogleich, ließ sich vertrauensvoll im Wasser von ihm halten. »Tut mir leid, wenn ich alte Wunden aufgerissen habe.«
    Alte Wunden.
    Ja, dachte Raphael bei sich, während er den Duft dieser wilden, ungezügelten Jägerin einsog. Er hatte sich gefragt, welchen Einfluss Elena wohl auf ein Volk von Unsterblichen haben würde – die Sterbliche, die ihn auch noch als Unsterbliche ein kleines bisschen menschlicher machte. Und nach wie vor war er gespannt darauf, was sie noch alles mit ihm anstellen würde.
    »Mein Vater«, sagte er zu seiner eigenen Überraschung, »ist schon vor langer Zeit gestorben.«
    Ein Flammenmeer, der Wutschrei seines Vaters, die Tränen seiner Mutter. Ein salziger Geschmack auf den Lippen. Seine eigenen Tränen. Er hatte weinend dabei zugesehen, wie seine Mutter seinen Vater getötet hatte. Er war noch ein Junge gewesen, ein richtiges Kind, selbst für einen Engel.
    »Tut mir leid.«
    »Das ist schon eine Ewigkeit her.« Und er dachte auch nur sehr selten daran, nur in Momenten, in denen seine Abwehr schwach war. Elena hatte ihn überrumpelt. Vor seinem inneren Auge stiegen die letzten Bilder noch einmal auf, nicht von seinem Vater, sondern von seiner Mutter, wie sie leichtfüßig über das mit dem Blut ihres Sohnes besudelte Gras schwebte. Sie war so schön und so begabt gewesen, dass Engel um sie gekämpft und für sie ihr Leben gelassen hatten. Selbst am Schluss noch, als sie sich gurrend über seinen gefallenen, zerschmetterten Körper gebeugt hatte, hatte sie mit ihrer Schönheit sogar den Glanz der Sonne in den Schatten gestellt.
    Schh, mein Liebling. Schh.
    »Raphael?«
    Zwei weibliche Stimmen, von denen ihn die eine in die Vergangenheit und die andere in die Gegenwart zog.
    Wenn es je für ihn eine Wahl gegeben hatte, so hatte er sie damals vor einem Jahr im Himmel über New York getroffen, als ihm die Stadt in Trümmern zu Füßen lag. Nun presste er seinen Mund in Elenas Halsbeuge und versenkte sich in ihrer Wärme, einer Wärme, die eindeutig von einem Menschen herrührte und das Eis seiner Erinnerungen zum Schmelzen brachte. »Ich glaube, du warst jetzt lange genug im Wasser.«
    »Am liebsten würde ich mich gar nicht mehr bewegen.«
    »Ich fliege dich zurück.«
    Unter ihrem schwachen Protest hob er sie sanft aus dem Wasser, ihr Körper war immer noch so zerbrechlich.
    »Sag jetzt einfach mal nichts mehr, Jägerin.« Vorsichtig rieb er ihr die Flügel trocken, zog sich seine Hose an und sah dann zu, wie sie sich ankleidete. Dabei stiegen nie gekannte Gefühle von Besitzgier, Zufriedenheit und panischer Angst in ihm hoch. Wenn Elena nun vom Himmel fallen, wenn sie auf die unbarmherzig harte Erde aufschlagen würde, sie würde es nicht

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