Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
sich mühsam im Bett auf und sog den verführerischen Duft von frischem Kaffee ein. Doch kaum hatte sie einen Schluck genommen, da spürte sie es auch schon: Kühles Satin streichelte sie, lockte mit Schmerzen, die ja so guttun würden.
»Dmitri.« Ihr Hals fühlte sich ganz rau an, sie stellte die Tasse ab und zog die Decke über die Brüste.
Gerade noch rechtzeitig.
Nach der Andeutung eines Klopfens betrat der Vampir den Raum. »Sie sind spät dran fürs Training.«
Ihre Augen wanderten zu dem Umschlag, den er in der Hand hielt. »Was ist das?«
»Von Ihrem Vater.« Dmitri überreichte ihr den Umschlag. »Kommen Sie in einer halben Stunde runter.«
Elena hörte ihm kaum zu, ihre Aufmerksamkeit galt allein dem Umschlag. Was wollte Jeffrey Deveraux denn dieses Mal? »Ich werde gleich kommen.« Sie presste die Worte an dem riesigen Frosch vorbei, der ihr in der Kehle saß.
Dmitri ließ sie mit einem Hauch von Diamanten und Sahne zurück, einer sinnlichen Spöttelei, die ihr die Kehle zuschnürte und bei der sie unweigerlich die Schenkel zusammendrückte. Aber die Erregung war nur von kurzer Dauer. Viel zu schnell war sie wieder allein und starrte den Umschlag an, als erwartete sie, dass ihm Reißzähne wachsen und er sie beißen würde. »Sei nicht so feige, Ellie«, sagte sie zu sich selbst und schlitzte den Brief auf. Er war an ihre Adresse bei der Gilde gerichtet.
Elena verzog den Mund. Wie schwer es ihrem Vater gefallen sein musste, über die schmutzbesudelte, nicht menschliche Gilde mit ihr Kontakt aufzunehmen. Abschaum. So hatte er sie in der letzten Nacht, die sie unter seinem Dach verbracht hatte, genannt. Sie hatte es nicht vergessen, würde es auch nie vergessen.
Ihre Finger krampften sich um das Schreiben, das sie aus dem Umschlag gerissen hatte. Einen Moment lang konnte sie überhaupt nicht begreifen, was sie da eigentlich in Händen hielt, dann drohten die Gefühle sie zu überwältigen.
Der Brief war gar nicht von ihrem Vater. Er kam von den Anwälten der Familie Deveraux: ein Erinnerungsschreiben, dass die Kanzlei aus Verbundenheit zur Firma ihres Vaters freundlicherweise die Kosten für ihren Lagerraum bezahlt hatte und dass sein Inhalt ihr alleiniges Eigentum sei.
Sie zerknüllte das Papier. Beinahe hatte sie das ganz vergessen … nein, das war gelogen. Mit Absicht hatte Elena jeden Gedanken daran verdrängt. Die Sache mit der Erbschaft ihrer Mutter begriff sie ja noch. Marguerite Deveraux hatte Elena die Hälfte ihres kleinen Privatvermögens vermacht, die andere Hälfte war an Beth gegangen.
Aber die Sachen in diesem Lagerraum … stammten aus Elenas Kindheit.
Tropf.
Tropf.
Tropf.
»Komm, kleine Jägerin. Koste.«
Fast hätten ihr die Hände den Dienst versagt, als sie die Decken beiseiteschob, um aufzustehen. Mutterseelenallein blieb der Brief auf dem Bett zurück, während sie ins Badezimmer stolperte und die Dusche aufdrehte. Ihre Finger rutschten an dem Hahn ab. Sie biss sich die Lippen blutig, versuchte es erneut. Endlich prasselte das Wasser wie ein sanfter, warmer Regen auf sie nieder. Erlöste sie von der Müdigkeit – aber von den Erinnerungen, nun da sie einmal wachgerufen waren, konnte sie nichts erlösen.
Ariel war die beste Schwester gewesen, die man sich wünschen konnte. Kein einziges Mal hatte sie Elena weggeschickt, auch wenn sie eine echte Nervensäge gewesen sein musste, die ständig alles haarklein über das Leben ihrer Teenagerschwester wissen wollte. Mirabelle, die Älteste, neigte schon eher dazu, sie anzufahren, aber sie hatte ihr das Basketballspielen beigebracht und viele Stunden lang geduldig mit ihr das Werfen und Fangen geübt.
Ying und Yang hatte ihre Mutter die beiden Ältesten immer genannt. Ari war die Süße, Belle die Würze.
»Belle, wo willst du eigentlich in diesem Aufzug hin?«
»Hab dich doch nicht so, Mama. Das trägt man heute.«
»Vielleicht trägt man das heute, aber wenn dein Vater dich in diesen Shorts sieht, wo der halbe Hintern rausguckt, hast du den ganzen nächsten Monat Stubenarrest.«
»Mama!«
Elena erinnerte sich noch, wie sie kichernd am Küchentisch saß, als ihre fünfzehnjährige Schwester mit ihren langen Beinen wutentbrannt die Treppe hinaufstürmte, um sich umzuziehen. Ihr gegenüber saß Beth, die mit ihren fünf Jahren zwar noch zu klein war, um die Situation zu verstehen, aber trotzdem mitkicherte.
»Und ihr beiden Monster, esst mal endlich euer Obst auf.«
Beim Gedanken an den unverwechselbaren Akzent ihrer
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