Gilde der Jäger 02 - Engelszorn
Brandwunden.
Wer waren die beiden Engel? Eilten sie den Dorfbewohnern zu Hilfe? Oder waren sie womöglich die Auslöser dieses Blutbads? Doch bei der nächsten Frage, die Elena sich unwillkürlich stellte, überlief es sie kalt: Warum hatte Raphael dieses verstörende Bild an einer Stelle aufgehängt, wo er es zwangsläufig jeden Tag anschauen musste?
Als Raphael die Verletzungen des Vampirs genauer untersuchte, wurde ihm mit aller Deutlichkeit klar, wie berechnend hier vorgegangen worden war und mit welcher Sorgfalt die Schläge gesetzt worden waren, um den größten Teil von Noels Gesicht in einen rohen Klumpen Fleisch zu verwandeln, dabei aber ein Auge auszusparen - ein stumpfes Blau leuchtete inmitten eines Ozeans von Schwellungen und Verletzungen. Das andere Auge war nur noch blutiger Brei. Die Nase fehlte ganz, doch Noels Mund war unberührt, die Lippen immer noch perfekt geschwungen.
Vom Hals abwärts war der Körper mehr oder weniger zerquetscht, manche Knochen waren nur noch Sand. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte Raphael selbst einen Vampir mörderisch zugerichtet – als Strafe für einen Treuebruch. Jeden Knochen in Germaines Leib hatte er einzeln gebrochen. Die Strafe war grausam, und Germaine würde sie zeit seiner Existenz nicht mehr vergessen, aber Raphael hatte kein Vergnügen daran gefunden.
Noels Angreifern hingegen hatte die Sache sichtlich Spaß gemacht, sie hatten ihn weit übler zugerichtet, als es für eine Botschaft nötig gewesen wäre. Das Brandmal hatte seine Brust in ein bösartiges Krebsgeschwür verwandelt, doch ihr Heiler, Keir, hatte auch Stiefelabdrücke auf dem Rücken und im Gesicht gefunden. Zudem war der Dolch nicht das Einzige, das die Attentäter in dem Vampir hinterlassen hatten. Glasscherben waren tief in die Wunden gedrückt worden, sodass sich das heilende Fleisch darüber schließen musste. Der Vampir war außerdem noch auf andere Weise misshandelt worden, man hatte ihn mit etwas angegriffen, was gleichzeitig geschnitten und gerissen hatte. Alles sprach jedoch dafür, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits bewusstlos gewesen war.
Raphael wäre gerne hundertprozentig sicher gewesen, dass er selbst nicht zu einer solch sinnlosen Brutalität fähig sein würde, aber etwas in ihm war nicht ganz überzeugt davon. Auch Nadiel hatte man einst für einen der größten Erzengel gehalten, und doch…
An einem gab es jedoch keinen Zweifel: Raphael würde es nicht dulden, dass seine Leute gefoltert und abgeschlachtet wurden. »Wer hat dir das angetan?«, fragte er.
Das gesunde Auge des Vampirs blieb trüb. Zwar war er mit dem Leben davongekommen, aber ob sich sein Geist je erholen würde … »Ich weiß es nicht.« Die Antwort kam überraschend klar heraus, so klar, dass Raphael die Chancen des Vampirs auf eine vollständige Heilung noch einmal aufs Neue durchdachte. »Bin überfallen worden.«
»Du bist nicht mehr jung«, sagte Raphael. Von Dmitri hatte er seine Lebensgeschichte erfahren. Offenbar war Noel ein bewährtes Mitglied einer Gruppe, die der Sieben direkt unterstellt war, und aufgrund seiner Intelligenz und Treue hatte Dmitri vorgehabt, Raphael persönlich auf ihn aufmerksam zu machen. »Man hätte dich nicht so leicht überwältigen dürfen.«
»Mehr als einer. Flügel. Flügelschlagen.«
Raphael hatte schon einmal einen Erzengel hingerichtet. Er hätte keine Skrupel gehabt, einen Engel zu beseitigen, der sich einen Namen machen wollte, indem er Raphaels Untergebene brutal zusammenschlug. »Zeichnung?«
»Ich konnte nichts sehen.« Sein gesundes Auge richtete sich jetzt auf Raphael. »Sie haben mir die Augen genommen, als die Prügelei anfing.«
Auf einmal ergab der stumpfe Blick auch einen Sinn. Das Auge war überhaupt nicht unversehrt geblieben, nur hatte es sich schneller regeneriert als das andere. »Ist dir sonst etwas an deinen Angreifern aufgefallen?«
»Sie sagten, ich sei eine Botschaft von Elias.« Rasselnder Husten begleitete seine Worte.
Raphael zählte keinen der Erzengel zu seinen Freunden, aber Elias war beileibe nicht sein Feind. »Männlich oder weiblich?«
»Zu dem Zeitpunkt war ich schon halb wahnsinnig.« Klare Worte. »Für mich klang es wie das personifizierte Böse. Aber sie haben sich an meinen Schmerzen geweidet. Als sie mir das Mal eingebrannt haben … hat einer von ihnen gelacht und gelacht und konnte fast nicht mehr damit aufhören.«
Elena war gerade auf dem Weg nach Hause, um sich nach der Trainingsstunde mit Dmitri zu
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