Gilde der Jäger: Engelsblut (German Edition)
es nur eine Ursache haben kann.
Tod.
»Oben .«
Erschrocken wandte Elena sich um und stand vor einer klapperdürren Frau in einem eleganten Kostüm, dessen Farbton irgendwo zwischen blassem Oliv und dunklem Grau lag. Im Kontrast zu ihrem bleichen, papierweißen Gesicht wirkte die Farbe fast grell. »Ich bin Adrienne Liscombe, die Rektorin « , sagte die Fremde auf Elenas fragenden Blick hin. »Ich habe gerade nachgesehen, ob auch wirklich alle Mädchen draußen sind .«
Da Elena die Schilder an den Türen gesehen hatte, die zur rechten Seite des Korridors abgingen, fragte sie: »Ist das hier das Bürogebäude ?«
»Nur diese Etage « , entgegnete Ms Liscombe spröde und akzentuiert. »In der zweiten befinden sich die Bibliothek und die Arbeitsbereiche für die Mädchen. Darüber liegen einige Schlafsäle, und im dritten Stock sind die zusätzlichen Waschräume. Für viele unserer Schülerinnen ist diese Schule ihr Zuhause. Die Büros der Lehrer sind als Studios eingerichtet, da ein großer Teil von ihnen auch darin wohnt. Die Mädchen können jederzeit aus ihren Zimmern herunterkommen, um mit einem Mitglied des Lehrkörpers zu sprechen .«
Elena stellte fest, dass die Rektorin trotz ihrer klar geschliffenen Aussprache, ihres makellosen Kostüms und des sorgfältig gewählten Goldschmucks durcheinander war. Bei der Vorstellung, was eine Frau, die allem Anschein nach einen fast asketisch zähen Charakter haben musste, in einen solchen Zustand hatte versetzen können, drehte sich ihr der Magen um. »Vielen Dank, Ms Liscombe « , sagte sie. Da sie an dem beißenden Gestank des Blutes – und dickerer, zäherer Flüssigkeiten – fast erstickte, kostete es sie einige Mühe, ihre Stimme freundlich klingen zu lassen. »Ich glaube, die Mädchen draußen könnten Ihre Führung und Hilfe gebrauchen .«
Ein scharfes Nicken, bei dem das Licht auf dem glatten Silber ihres Haares glänzte. »Ja. Ja, ich sollte wohl gehen .«
»Warten Sie .« Sie musste diese Frage stellen. »Wie viele Ihrer Schülerinnen werden vermisst ?«
»Es gab noch keinen vollständigen Appell. Das soll jetzt geschehen .« Sie straffte sich, im Angesicht der konkreten Aufgabe kehrte ihre professionelle Ruhe zurück. »Einige der Mädchen sind auf einem Ausflug, und wir haben die üblichen Fehlquoten, also muss ich die Listen miteinander vergleichen .«
»Teilen Sie uns das Ergebnis bitte so schnell wie möglich mit .«
»Natürlich .« Eine Pause. »Celia … müsste hier sein .«
»Verstehe .« Als sie die lackierten Holzstufen hinaufstieg, die in eine andere Zeit zu gehören schienen, und die gedämpften Schritte der sich entfernenden Rektorin hörte, ermahnte sie sich selbst, die Flügel nicht schleifen zu lassen. Es war noch nicht selbstverständlich für sie, doch sie war schon viel geschickter darin als damals, als sie zum ersten Mal mit Flügeln erwacht war. Damals hatte sie nur darauf achten wollen, dass sie nicht durch den Staub und den Schmutz der Straßen von Manhattan schleiften.
Heute war es aus einem weitaus düstereren Grund nötig, darauf zu achten.
Als sie den Flur des zweiten Stocks hinunterging, ging sie achtlos an den exquisiten Ölgemälden vorbei, die von Geld und Klasse zeugten, um dem Gestank nach Eisen und Angst in das Zimmer zu folgen, in dem ein Erzengel mit gnadenlos blauen Augen auf sie wartete. »Raphael .«
Sie hielt inne und versuchte zu atmen. Die widerwärtige Schwere des Geruchs drohte sie zu ersticken, während sie sich umsah. Die Laken waren blutdurchtränkt, auf dem Boden war eine Lache aus dunkler Flüssigkeit mit roten Rändern zu sehen, und die Spritzer an den Wänden wirkten wie ein bösartiges Graffiti. »Wo ist die Leiche ?« Denn es musste eine Leiche geben. Kein menschliches Wesen konnte einen solchen Blutverlust überleben.
»In den Wäldern « , sagte er in einem Ton, der ihr die Haare im Nacken zu Berge stehen ließ. Er war so sehr, so ausgesprochen ruhig. »Er hat sie hierhergeschleppt, um sich über sie herzumachen, deshalb hat sie hier das meiste Blut verloren .«
Elena versteifte sich innerlich, um sich gegen eine Woge von Mitleid zu wappnen. Damit würde sie Celia jetzt nicht helfen – und es würde sie selbst daran hindern, das zu tun, was sie wirklich konnte: für Gerechtigkeit zu sorgen. »Warum sollte ich hierherkommen ?« Wenn sie die Witterung des Vampirs erfolgreich aufnehmen sollte, stünden ihre Chancen an seinem letzten bekannten Aufenthaltsort am besten.
»Die Tote wurde in
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