Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Herzen wehtat, es mitansehen zu müssen.«
Vanhis Augen glänzten feucht. »Es fing damit an, dass Nivriti die Schneiderin einmal bat, ein besonders Kleid für sie anzufertigen. Neha stahl den Entwurf, ließ in kürzerer Zeit genau das gleiche Kleid schneidern und trug es vor Nivritis großem Ereignis. Nivriti rächte sich dafür, indem sie den Schmuck ihrer Schwester versteckte, damit diese bei einem Anlass farblos wirkte, während sie selbst glänzte. Nach einiger Zeit«, ein stockender Atemzug, »fingen sie an, Personen als Schachfiguren für ihr Spiel zu benutzen.«
Mahiyas nagende Neugier zog sich in ihrem Bauch zu einem Knoten zusammen.
»Wenn eine von ihnen einen Freund hatte, spannte die andere ihn ihr entweder aus oder vergiftete die Beziehung mit Boshaftigkeiten, bis sie verkümmerte und einging. Es war eine so entsetzlich dumme Vergeudung ihrer Talente und Begabungen.«
Mahiya rieb sich mit der Faust über den Bauch, ahnte sie doch, dass es noch viel schlimmer werden würde. »Ich habe gehört, die stärkste Begabung meiner Mutter soll mit fliegenden Wesen zu tun gehabt haben.«
»Ja.« Die Erinnerung rief auf ihren vollen, roten Lippen den Anflug eines Lächelns hervor. »Sie versicherte mir, die Vögel würden mit ihr sprechen und sie könne durch ihre Augen sehen. Falken kamen zu ihr und rasteten auf ihrer Schulter, ganz zahm und ohne Angriffslust … aber als ihre Verbitterung wuchs, erfreute sie sich nicht mehr nur an ihrer wilden Schönheit, sondern fing an, sie als Waffe zu benutzen.«
Die Tränen in Vanhis Augen liefen über und tropften auf ihre Lippen. »Einmal sah ich, wie sie einen Falken losschickte, um einem Vampir die Augen aus dem Kopf zu kratzen. Er war ihr Geliebter gewesen und hatte dann eine Stellung an Nehas gerade entstehendem Hof angenommen. Als ich bei ihm ankam, war sein Gesicht nur noch eine rote Maske, seine Schmerzensschreie drangen mir bis ins Mark.«
Als Erwachsene hatte Mahiya ihre Mutter nicht mehr für eine Jungfrau aus dem Märchen gehalten, der man Unrecht getan hatte … aber sie hatte heimlich gehofft. Gehofft, dass Nivriti besser gewesen war als Neha, dass ihre Geburt kein Akt äußersten Hasses gewesen war. Aber auch wenn die Wirklichkeit ihre Träume zerstören konnte, sie sehnte sich danach, alles zu erfahren. »Also war Eris nicht das erste Objekt ihrer Kämpfe.«
»Nein, aber er war der Erste, den sie beide geliebt haben.« Das Weinglas zerbrach zwischen ihren Fingern, und ein Tropfen Blut lief an ihrem Handgelenk hinunter. Mit einer Handbewegung tat sie Mahiyas Aufschrei ab, ehe sie die Scherben auf den Couchtisch legte und die Wunde mit einem Taschentuch betupfte. »Leider muss ich sagen, dass Eris keines meiner Mädchen verdient hatte – und auch keine der Töchter, an deren Zeugung er beteiligt war.«
»Vanhi, lass mich dir einen Verband machen.«
»Schsch, Kind. Das heilt schnell genug von allein.« Ihr Lächeln nahm dem Tadel die Schärfe. »Aber du kannst mir noch ein Glas Wein einschenken.«
Mahiya tat es und sah erleichtert, dass die Vampirin tatsächlich nicht mehr blutete.
»Inzwischen glaube ich, Eris hat Nivriti zuerst den Hof gemacht, weil er an sie leichter herankam.« Vanhi trank einen Schluck von dem frischen Weißwein. »Neha war damals schon ein Erzengel, aber deine Mutter war eine eigenständige Machtfigur – würde sie noch leben, wäre sie heute Mitglied des Kaders. Die Flamme ihrer Entwicklung brannte einfach langsamer als Nehas loderndes Feuer.«
»Sobald Eris ihr Vertrauen gewonnen hatte«, mutmaßte Mahiya, da sie sich über den Mann, der sie gezeugt hatte, keine Illusionen machte, »nutzte er diese Verbindung, um an Neha heranzukommen.«
»Ich weiß nicht, ob ihr bewusst war, dass er zuerst mit Nivriti zusammen gewesen war«, Vanhis Stimme klang sanft, und in ihren Worten lag die schmerzvolle Liebe zu beiden Mädchen, die sie großgezogen hatte. »Ich glaube, Neha hat sich so sehr in Eris verliebt, weil sie die Wahrheit nicht kannte – wäre es ihr um das Spiel gegangen, hätte sie darauf geachtet, ihr Herz zu schützen, damit sie ihn fallen lassen konnte, sobald er Nivriti verlassen hatte. Was Eris anging … für ihn war Liebe eine austauschbare Ware.«
Dazu hatte Mahiya nichts zu sagen – zu gut hatte sie ihren Vater gekannt.
»Zu diesem Zeitpunkt«, sagte Vanhi, »hat Nivriti keinerlei Aufhebens darum gemacht. Mein armes Kind hatte ein gebrochenes Herz und verließ sogar den Teil des Territoriums, über den sie
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