Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
sein Körper ziemlich schwächlich ist.«
Ein ersticktes Lachen und echte Freude, die wie Musik für ihn war. »Ein Gockel dürfte ein treffenderer Vergleich sein«, flüsterte sie. »Wie er sich aufplustert und nach allen hackt, die ihm in den Weg kommen.« Sie ließ seinen Arm los und sprach nun noch leiser, als sie die von Dienern und Höflingen belebten Korridore betraten. »Er ist nur der Erste. Viele werden kommen und Eris’ Platz einnehmen wollen – oder besser gesagt den Platz, den Eris innegehabt hätte, wenn er seine Gelüste kontrolliert hätte.«
Er bemerkte die neugierigen Blicke, die sie auf sich zogen, machte jedoch keine Anstalten, den Abstand zwischen ihnen zu vergrößern. Die Berührung, mit der ihr Flügel hin und wieder über seinen strich, war ihm angenehm. »Hast du Eris je wirklich als deinen Vater angesehen?«
»Nicht mehr, seit mir klar war, dass er mich tot sehen wollte.« Ein falsches Lächeln für die, die sie beobachteten, aber die Frau mit dem verschmitzten Tonfall war verschwunden, fortgespült von den Wogen der Erinnerung und der grausamen Realität des Lebens. »Ich war noch ein Kind. Es brach mir das Herz, als ich erkannte, dass dieser gut aussehende Mann, zu dem mich Neha jede Woche auf einen Besuch brachte, meinen Anblick hasste. Damals habe ich nicht verstanden, dass sie mich als Waffe benutzte.«
Jason handelte schon so lange mit Informationen, dass es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war, sie zu sammeln. Aber an diesem Abend wünschte er, er hätte geschwiegen und das Lachen in Mahiyas Augen noch etwas länger erhalten.
»Stehst du deinem Vater nahe?«, fragte sie, womit sie die Seiten seiner eigenen Erinnerungen aufschlug.
»Hier, mein Sohn. Du musst es an der Schnur nach vorn ziehen. Siehst du?«
»Ich habe ihm nahegestanden.« Bevor sein Vater von innen her zerfressen worden war. Jason hatte es als eine Art Krankheit angesehen, die so langsam und schleichend vorangeschritten war, dass niemand, der seinen Vater sah, die wahren Ausmaße der Dämonen erkannte, gegen die er zu kämpfen hatte. »Er ist tot.«
»Das tut mir leid.« Für einen flüchtigen Moment legte sie die Finger auf seinen Unterarm, eine Berührung, die ihm durch Mark und Bein ging.
»Es ist lange her.« Er hatte gelernt, mit den Gespenstern zu leben. »Erzähl mir von Anoushka«, sagte er, um die Tür hinter den Erinnerungen zu schließen. »Von ihrer Beziehung zu Eris.«
»Als sie jung war, dürften sie sich nahegestanden haben«, sagte Mahiya langsam. Ihr Duft war eine faszinierende Mischung aus exotischen Blumen und einer hellen, würzigen Note. »Aber solange ich sie kannte, hat sie ihn verachtet, weil sie ihn für schwach und rückgratlos hielt. Ich habe allerdings nie erlebt, dass sie das Neha gegenüber bekundet hätte.«
Nein, dachte Jason, Anoushka war zu klug gewesen, um ihre Mutter auf diese Weise zu verprellen.
»Wir sind da.« Mahiya blieb vor dem Juwelenpalast stehen.
Tausend Kerzen schienen an der Außenwand in Nischen und auf speziellen Ständern zu flackern, jede einzelne Flamme brach sich in den Diamanten, mit denen der Palast besetzt war, sodass das ganze Gebäude in Flammen zu stehen schien – ein eindrucksvolles Kunstwerk. »Das«, sagte er mit absoluter Aufrichtigkeit, »ist überwältigend.« Kein Wunder, dass Neha diesen Ort größeren, reicher geschmückten Palästen vorzog.
»Ja.« Mahiyas Antwort klang weich. »Als Kind hat es mich fasziniert.«
Da war etwas, ein Stocken in ihrer Stimme. Aber er hatte keine Gelegenheit, dem nachzugehen, denn die Wachen hatten sie gesehen. Die beiden Vampire öffneten die Türen und verbeugten sich tief, als Jason und Mahiya an ihnen vorbeischritten. Eine solche Unterwürfigkeit war Jason nicht gewöhnt – in Raphaels Turm liefen die Dinge auf gänzlich andere Weise ab –, aber er war auch nicht mehr der ungebildete, kindliche Mann, der andere Engel hatte beschatten müssen, um den Weg zur Zufluchtsstätte zu finden.
Sein Vater hatte absichtlich eine Insel gewählt, die abseits von den Himmelsstraßen der Engel lag, und so war tatsächlich nur äußerst selten ein Engel über Jason hinweggeflogen, nachdem er allein zurückgeblieben war. Er hatte versucht, ihnen etwas zuzurufen, doch er war zu klein und zu schwach gewesen, um hoch genug zu fliegen und ihre Aufmerksamkeit erregen zu können, bevor sie wieder außer Reichweite waren. Also hatte er überlebt und war stärker geworden … und nach einiger Zeit hatte er die
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