Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
gegolten, aber Neha hatte sie dabei mit einem Blick bedacht, bei dem die winzigen Härchen in ihrem Nacken warnend gekribbelt hatten.
Sobald Neha gegangen war, war sie zu der Nanny gelaufen, die sich während ihrer Aufenthalte in der Festung um sie kümmerte – dieselbe, die ihr später gesagt hatte, dass nichts, was sie tat, Neha gefallen würde.
»Warum mag die Lady mich nicht?«
Das ernste Gesicht der Nanny verfinsterte sich, dann nickte sie kurz. »Du bist alt genug, um es zu erfahren. Aber du darfst es niemals in der Öffentlichkeit aussprechen. Dein Vater ist Eris, Nehas Gemahl. Deine Mutter war Nehas Schwester Nivriti.«
Sie war noch klein und verstand das Gehörte nicht sofort. »Sie haben sich einen Gemahl geteilt?«
Entsetzen spiegelte sich auf der Miene der Nanny. »So etwas Widerwärtiges darfst du niemals sagen, Kind.« Sie räumte die Tunika weg, die sie gerade zusammengefaltet hatte, und schloss die Kommode. »Deine Mutter hat einen Mann verführt, der nicht ihr gehörte, und sie hat die Frucht dieser Abscheulichkeit ausgetragen.«
Mich, dachte Mahiya, sie hat mich ausgetragen. »Ich bin abscheulich?«
Ein Seufzen, das Gesicht der Nanny wurde weicher. »Du bist nicht abscheulich, Kind. Aber du erinnerst die Lady an diese Abscheulichkeit. Nur ihrem freundlichen Wesen ist es zu verdanken, dass du all die Rechte und Privilegien einer Prinzessin genießt.«
Das Letzte war natürlich eine Lüge gewesen. Aber selbst Mahiya musste einräumen, dass Neha sie sehr behutsam behandelt hatte, solange sie minderjährig gewesen war. Es hatte zwar keine Wärme gegeben, aber auch keine Misshandlungen. Sie hatte die Schule in der Zufluchtsstätte besucht und dort in den Bibliotheken gelernt – wo sie auch Jessamys Güte und Führung kennengelernt hatte und erfahren durfte, was es heißt, geliebt zu werden. Denn ihre Lehrerin liebte jeden ihrer Schüler.
Dann war sie »nach Hause« gekommen, war hundert geworden … und hatte erfahren, dass Neha sich ihre Grausamkeit für die Erwachsene aufgespart hatte, zu der das hoffnungsvolle, unschuldige Kind herangewachsen war. Der Mann, der jetzt an Nehas Seite stand, war Beweis genug für diese Grausamkeit – selbst wenn der Erzengel die Verführung nicht in Auftrag gegeben haben sollte, hatte er Mahiya auch nicht vor Aravs scheinheiligem Werben gewarnt und so dafür gesorgt, dass Mahiyas erste romantische Liebe einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hatte.
»Du hast mir gar nicht gesagt, dass du mit Mahiya gesprochen hast.« Unter Nehas seidigem Tonfall verbarg sich stählerne Härte.
Auf Aravs Wangen legte sich ein vor Charme sprühendes Lächeln. »Wir sind uns über den Weg gelaufen, als ich auf dem Weg zu dir war.« Er bedachte Mahiya mit einem herablassend anerkennenden Blick. »Ich habe dir noch gar nicht gesagt, wie sehr es mich freut, dass du so gut aussiehst.« Er hob sein Glas und nippte an seinem Wein. Der seltene Turmalin, der den Ring an seinem Zeigefinger schmückte, funkelte leuchtend blau im Kerzenlicht.
»Er ist wie ein Pfau, der sein Gefieder spreizt und laut kreischt …«
»Vielen Dank«, sagte sie mit einem so blendenden Lächeln, dass es Arav sichtlich verblüffte.
Leise, kristallklare Klänge klimperten durch die Luft, als die Glasreifen an Nehas Handgelenk aneinanderstießen. »Kommt, setzen wir uns.« Ihr Blick fiel auf Jason. »Als Gast an meinem Hof sitzt du zu meiner Linken. Arav kann Mahiya Gesellschaft leisten – sie sind enge Freunde.«
Obwohl Jasons Miene undurchdringlich blieb, spürte Mahiya, dass von dem Mann neben ihr eine unbeschreibliche Spannung ausging. Sie wusste, dass sie der Grund dafür war, aber sie durfte nicht zulassen, dass er sich den Erzengel zum Feind machte, nur um sie vor Aravs Umwerbungen zu bewahren. »Oh«, sagte sie mit einem schnellen Lächeln, »am anderen Ende des Saals sehe ich Quinn, den Wissenschaftler. Ich habe gerade seine neueste Abhandlung gelesen und ihm versprochen, dass wir uns darüber unterhalten würden.«
Neha hatte keine Einwände – der Vampir gehörte zu ihren Günstlingen. Aber das war weniger wichtig als die Tatsache, dass Jason nicht mehr so wirkte, als würde er jeden Augenblick die Beherrschung verlieren.
»Alles in allem«, sagte Mahiya zu Jason, nachdem der Tee serviert worden war und sie sich auf den Rückweg zu ihrem Palast machten, »war es keine allzu schlimme Dinnerparty.« Quinn war reizend gewesen, und Neha hatte sich so in die Unterhaltung mit Rhys und Jason
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