Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
weder um Eris noch um Arav, und Audrey hatte sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Aber Shabnam war unschuldig gewesen. »Hat Arav jemanden beleidigt?«
Offenbar war der Diener hin- und hergerissen, ob er dem Diktat des Erzengels gehorchen sollte, dessen Lehnsmann er war, oder ob er sich zu seinem eigenen Schutz besser heraushielt. Ersteres siegte. »Jemand hat gehört, wie er einem von Rhys’ Gefolgsleuten eine Position anbot, die er ihm eigentlich noch nicht hätte versprechen können. Die Bedingung war, dass der Mann seine Gefolgschaft wechselte.«
»Wenn ich Gemahl bin …«
»Wie konnte das jemand mithören?« Arav hätte einen solchen Verrat nicht in der Öffentlichkeit ausgesprochen.
Der Diener senkte die Wimpern, neigte den Kopf und trat einen Schritt zurück in die Dunkelheit. Zuerst dachte Mahiya, er wollte ihr keine Antwort geben, aber dann erkannte sie, dass das seine ganze Antwort war. Nein, Arav war nicht dumm gewesen, aber arrogant. Ein Engel von neunhundert Jahren, dem schwächere Wesen nicht der Beachtung wert waren. »Verstehe«, sagte sie, als der Diener wieder aus den Schatten heraustrat. »Wusste Rhys von Aravs Bemühungen, seine Leute abzuwerben?«
Wieder wurde die Miene des Dieners verschlossen. »Das weiß ich nicht.«
Ja, Rhys wusste davon. Er wusste über alles Bescheid, was in dieser Festung vor sich ging.
»Aber Rhys ist immer viel eleganter vorgegangen, wenn er seine Feinde beseitigen wollte«, sagte sie zu Jason, als dieser viel später zurückkehrte. Sie hatte ihm aus einer Flasche, die sie für Gäste bereithielt, einen Cognac eingeschenkt und brachte ihm das Glas nun auf den Balkon hinaus, wo er auf sie wartete.
»Ich glaube, heute Abend brauche ich etwas Stärkeres als Tee.«
Die Worte hatten auf unerklärliche Weise intim geklungen.
»Vor dieser Information hatte ich Rhys eigentlich als Verdächtigen ausgeschlossen. Aber auch jetzt glaube ich nicht, dass er der Mörder ist.« Er nippte an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Die Muskeln an seiner Kehle bewegten sich. »So entblößt, wie Shabnam dalag – ich glaube nicht, dass Rhys zu so etwas fähig ist.«
»Das stimmt. Er würde eine Frau niemals so respektlos behandeln, nicht einmal, wenn sie tot ist.«
Jason nahm einen weiteren Schluck und stellte das Glas hinter sich auf dem Fenstersims ab, um sich dann mit seinen bloßen Armen auf das Balkongeländer zu stützen. Auch er hatte geduscht und sich umgezogen, jetzt trug er ein einfaches schwarzes T-Shirt, eine Jeans und keine Schuhe. Hinter ihm fielen seine Flügel geschmeidig wie Schatten, Geschwister der Nacht, auf den Boden herab. Noch nie hatte sie ihn so gesehen … so entspannt, als hätte er einen Teil seiner Rüstung abgelegt.
Ihr Blick wanderte zu dem Band in seinem Nacken, die braune Haut wirkte in der Nacht blass, und sie musste daran denken, wie ihr sein Daumen über die Unterlippe gestrichen war.
»Ich glaube, du wirst heute Abend eine Entscheidung treffen müssen.«
Ihr Unterleib zog sich zusammen. Seit einer Ewigkeit hatte sie ihren Körper keinem Mann mehr anvertraut, und Jason … er hatte sie nie belogen.
»Darf ich dein Haarband lösen?«
Auf ihre behutsame Frage hin verharrte er regungslos, sodass er mit seinen tiefschwarzen Flügeln wie der schönste Gargoyle aussah, der je erschaffen worden war. Das Herz klopfte Mahiya bis zum Hals, während sie wartete … bis er schließlich den Kopf zu einem kleinen Nicken senkte.
Mit zitternden Fingern streckte sie die Hand aus. Vorsichtig, damit sie seinen Nacken nicht berührte, was eine tiefere Intimität bedeutet hätte, löste sie das Band und zog es weg. Ein seidiger, schwarzer Wasserfall ergoss sich über seine Schultern. Die Strähnen fühlten sich kühl, aber nicht mehr feucht an; die Nachtluft war gerade warm genug, um die Feuchtigkeit aufgenommen zu haben. Mahiya konnte nicht widerstehen und ließ die Fingerspitzen leicht über seine Haare gleiten, ehe sie die Hand sinken ließ.
»Wie weit würdest du gehen?«
Die leise Frage ließ sie vor Schreck zusammenfahren. »Was?«
»Wie du gesagt hast, bin ich dein einziger Ausweg – also, wie weit würdest du gehen?«
Ihr wurde erst heiß, dann kalt. »Ich wollte dich nur aus der Reserve locken«, gab sie zu. »Selbst für meine Freiheit würde ich niemals das Einzige hergeben, das immer nur mir gehört hat.« Ihren Körper, ihre Sehnsucht.
»Gut. Du hast deine Entscheidung getroffen?«
»Ja.« Mit einem engen Gefühl in der Brust hob sie die
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