Gilde der Jäger: Engelsdunkel (German Edition)
Beinahetrauer trugen. Denn nur Vanhi war schon vor Neha auf dieser Welt gewesen.
Mit ihren grünen Augen und einer Haut aus dunkler Bronze sah die Vampirin wie eine atemberaubende Frau in den Dreißigern aus, aber ihr Benehmen und ihre Gepflogenheiten waren die einer Großmutter. Sie hatte schon Neha und Nivriti in ihren Kinderbettchen gewiegt und später Anoushka und Mahiya. Sie war das einzige Lebewesen, das zu lieben Mahiya gewagt hatte, nachdem der einzige Freund, den sie als Erwachsene gehabt hatte, so brutal bestraft worden war.
Tiefrot auf den Steinen, glitschig und zähflüssig, blutgetränkte Flügel lagen leblos neben der bewusstlosen Gestalt eines Mannes, dessen einziges Verbrechen Freundlichkeit gewesen war.
Selbst die Stute, die Mahiya schon als Fohlen geliebt und mit aufgezogen hatte, war fortgegeben worden – Aravs neue Geliebte hatte sie bekommen, eine absichtliche Grausamkeit. Aber Vanhi genoss Nehas Zuneigung, und deshalb konnte Mahiya es wagen, sie lieb zu haben. Allerdings durfte selbst diese Vampirin nicht zu viel Zeit mit ihr verbringen, wenn sie nicht in einen weit entfernten Teil des Territoriums in die Ferien geschickt werden wollte.
Jetzt hörte sie Vanhi sagen: »Diese Ausgeburt einer Ziege ist also tot.«
Mahiya war über ihre Einstellung nicht überrascht. »Ich werde nicht um Arav trauern, aber so, wie er gestorben ist … das hätte ich ihm nicht gewünscht.«
Vanhi schnaubte. »Er hätte dafür kastriert werden sollen, dass er ein junges, kaum flügge gewordenes Mädchen ausgenutzt hat.«
»Ich habe zugelassen, dass er mich ausnutzt«, gab Mahiya zurück, dieser Streit zwischen ihnen war schon alt. »Ich war dumm.« Bereit, sich Schrott für Gold verkaufen zu lassen. »Das wird mir nicht wieder passieren.«
»Tatsächlich?« Mit hochgezogenen Brauen hob Vanhi eine tiefschwarze Feder vom Teppich auf. »Und doch empfängst du Raphaels Meisterspion in deinem Schlafzimmer?«
»Er erzählt mir zumindest keine Lügen.«
Diese leise gesprochenen Worte ließ Vanhi in ihren energischen Bewegungen innehalten, mit denen sie im Zimmer hier und dort etwas in Ordnung brachte. Ihre Miene war gezeichnet von schwerer Müdigkeit, als sie ihre Hand sanft an Mahiyas Wange legte. »Ich wünschte, du würdest deine Erwartungen höher schrauben, Mahiya, mein Kind.«
»Eines Tages«, versprach Mahiya, »werde ich die Chance haben, größere Träume zu träumen. Bis dahin muss ich mich mit dem zufriedengeben, was ich habe.« Falsche Hoffnungen konnten zerstörerischer sein als gnadenloser Pragmatismus – das hatte sie gelernt, als sie Lijuan Jahre vor ihrer »Entwicklung« um Asyl gebeten hatte.
»Du dummes Mädchen.« Lijuans taubengraue Flügel strichen über den Boden, als sie mit einer Handbewegung den Wachmann entließ, der die erschöpfte Mahiya in einen höhlenartigen, hallenden Raum gebracht hatte. »Du bittest mich darum, deinetwegen meine Freundschaft zu Neha zu zerstören?«
»Nein, ich bitte nur um Asyl.«
Aus einem Gesicht, so bleich, dass Mahiya glaubte, die Knochen darunter zu erkennen, starrten sie gespenstische Augen in einem fremdartigen, perlmuttfarben schimmernden Grau an. »Entweder bist du geistesschwach«, sagte Lijuan, »oder du führst etwas im Schilde.«
Mahiya kämpfte gegen die Eiseskälte an, die ihr Blut durchdrang. »Sie sind viel mächtiger als Neha. Ich bin so unbedeutend, dass sie meinetwegen die Beziehung zu Ihnen niemals aufs Spiel setzen wird.«
»Das bedeutet aber auch, dass ich dich nicht gebrauchen kann. Du hast mir nichts zu bieten.« Ein Lächeln, bei dem sich Mahiyas Magen zusammenzog und ihre Knie zu zittern begannen. »Deine Flügel … hm, vielleicht werde ich dich trotzdem behalten.«
Daraufhin hatte Lijuan Mahiya »eingeladen«, ihren Ausstellungsraum zu besichtigen, und mit demselben unmenschlichen Lächeln zugesehen, wie Mahiya sich vorbeugte, um das wenige Essen von sich zu geben, das sie im Magen gehabt hatte.
»Ju wird das entfernen.« Der Mann, der aus der Dunkelheit herbeischlurfte, war … irgendwie verkehrt. Mit einem Ruck hob Mahiya den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, während Ju einen Mopp aus dem Nichts zauberte und alle Spuren ihrer mangelnden Selbstkontrolle aufwischte. Seine Augen waren schwarz und stumpf, seine Bewegungen die einer Marionette.
»Er war einmal ein starker Mann, aber ich habe ihn zerstört. Trotzdem kann ich ihn nicht gehen lassen.« Lijuan streckte die Hand aus, um über Mahiyas Flügel
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