Gildenhaus Thendara
sie so sehr korrumpiert?
Korrumpiert? Bin ich korrumpiert, wenn ich Peter liebe, wenn ich seine Welt anerkenne? Sie knallte die Tür ihrer Wohnung hinter sich zu und riß sich die Uniform mit zitternden Händen vom Leib. Es war wahrhaftig Zeit, daß sie ihr Zuhause wieder einmal besuchte!
Sie zog ihre bestickte leinene Unterjacke an, die dicke Unterhose, die Hose aus schwerem Wollstoff und die Überjacke. Sie setzte sich, um ihre Stiefel zuzuschnüren. Fluchend fuhr sie sich mit der Hand durch ihr langes, dichtes Haar. Es war Zeit, wirklich höchste Zeit, daß sie es schneiden ließ. Nein, verdammt noch mal, warum sollte sie? Sie lebte als Peters Freipartnerin was die Bedingungen ihres Eides ihr gestatteten, versicherte sie sich selbst heftig. Doch der Gedanke quälte sie weiter. Was würde Rafaella sagen, was Camilla, wenn sie im Gildenhaus mit wallender Mähne erschien statt mit einem Haarschnitt, der sie deutlich als Entsagende auswies, die damit ihre Unabhängigkeit von jedem Mann proklamierte? Oh, zur Hölle mit ihnen allen! Sie griff nach einer Schere, sah nachdenklich in den Spiegel und erinnerte sich daran, wie Peters Hände ihr Haar gestreichelt hatten. Schon hatte sie die Schere an der Nackenlinie angesetzt, als sie von neuem wütend fluchte und sie zu Boden warf. Es war ihr eigenes Haar und ihr eigenes Leben, und wenn sie ihrem geliebten Freipartner gefallen wollte, stand ihr das Recht zu. Trotzdem fühlte sie sich schuldig.
Draußen schneite es, da mußte sie sich zum Schutz gegen den Wind und die Kälte das Gesicht eincremen. Sie wühlte in der Schublade und hatte ihre Freude an den terranischen Kosmetika. Sie dufteten ein bißchen stärker, sie fühlten sich ein bißchen glatter an als die Artikel, die sie auf dem Markt hätte kaufen können, oder die Salben, die einige der Frauen im Gildenhaus herstellten, wenn man dort eine Zeitlang knapp mit dem Geld war. Während sie die Creme auf ihrem Gesicht verteilte, fiel ihr Blick auf das kleine Gebilde aus Perlen, das sie dazu benutzte, Buch über ihre Periode zu führen. Die Perlen trugen die Farben der vier Monde, violett, pfauenblau, hellgrün und weiß. Sie schob eine violette Perle nach unten, denn sie hatte bemerkt, daß Liriels Scheibe voll war, und dann starrte sie die Perlen bewegungslos an. Schon vor mindestens zehn Tagen hätte sie eine rote Perle für die Blutung verschieben müssen. Der schreckliche Streit mit Peter und das Elend danach, die anstrengende Arbeit mit Cholayna und Aleki, das alles hatte sie so aufgeregt, daß sie jeden Tag die Perlen mechanisch weiterbewegt hatte, ohne daß es ihr aufgefallen war. War das nichts weiter als eine Störung, die, wie man sie gewarnt hatte, beim Leben in dem künstlichen gelben Licht auftreten konnte? Oder sollte sie schwanger sein? War es Peter bei der ekstatischen Vereinigung, die ihrem Streit gefolgt war, gelungen, sie zu schwängern?
Im ersten Augenblick flackerte tief in ihrem Inneren ein Funken von Freude auf. Sofort folgten ihm Zweifel und Angst. Wollte sie dies wirklich? Wollte sie der Gnade eines kleinen Parasiten in ihrem Körper ausgeliefert sein, wollte sie Übelkeit, Entstellung, die schreckliche Tortur der Geburt, an der ihre Mutter gestorben war? Eine Sekunde lang geisterte ihr Alptraum durch ihren Kopf… Rotes Blut auf dem ausgedörrten Sand eines Wasserlochs unter der aufgehenden Sonne… Sie spürte einen scharfen Schmerz in den Händen. Ohne es zu wissen, hatte sie die Fäuste so fest geballt, daß sich die Fingernägel in die Handflächen bohrten. Welch ein Unsinn! Ließ sie sich von einer Mischung aus alten Alpträumen ängstigen? Peter würde sich so freuen, wenn sie es ihm erzählte! Sie stellte sich das Entzücken vor, das sich auf seinen Zügen ausbreitete, die Zärtlichkeit und der Stolz, die ihm aus den Augen leuchteten.
Stolz. Die Worte des Eides hallten in ihrem Kopf wider:… weder Fragen der Erbfolge noch sein Stolz oder sein Wunsch nach Nachkommenschaft… Ach, Quatsch. Peter war kein Comyn, auch wenn er Kyril so ähnlich sah, ihn interessierten Fragen der Erbfolge, ein so wichtiger Bestandteil im Leben der Comyn, überhaupt nicht. Ein weiterer Gedanke schlich sich ein: Auch Rohana wird sich freuen, daß ich mich entschieden habe, der AillardDomäne ein Kind zu gebären. Sie verjagte ihn ebenfalls. Nicht für Aillard. Nicht für Peter. Für mich selbst, weil wir einander lieben und dies die Bestätigung unserer Liebe ist! Für mich selbst, verdammt noch mal! Aber sie
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