Gilgamesch - Der Untergang
bis der Dienstwagen auf der kurvenreichen Strecke nicht mehr zu sehen war, dann drehte sie sich um und ging ins Haus.
33.
Auf jedes Zeitalter folgt eine Flut, welche die bestehenden Kontinente zerstört und alle lebenden Wesen verschlingt bis auf jene, die geschützt wurden, um die Erde neu zu bevölkern.
(Prophezeiung aus dem Hinduismus)
Sven fuhr nicht zurück ins Polizeirevier, sondern weiter nach Tübingen. Sein Ziel war das Verbindungshaus der Fraternitas Rosae , das neben der Couch in seinem Dienstzimmer seine eigentliche Heimat geworden war. Er wusste schon, wen er um einen ungewöhnlichen Gefallen bitte könnte.
Als er in die Kamera über dem Haupteingang blickte, damit man im Überwachungsraum des Hauses seine Identität feststellen konnte, ertönte der Summer der Türe, und er trat ein.
Im Haus ging es lebhaft zu. Es war zwar spät, doch Sven wusste, dass die Aufgabe, die diese Geheimgesellschaft vor vielen Jahrhunderten begründete, jetzt in eine entscheidende Phase trat.
Der einundzwanzigste Dezember 2012 war der Tag, an dem die Entscheidung fallen sollte, wer der Herrscher über das Zeitalter des Wassermanns würde. Er hatte dieses wichtige Datum seit seiner Jugendzeit immer und immer wieder in den Versammlungen der Rosenbruderschaft gehört, doch nun als erwachsener Mensch war er mehr als skeptisch, ob diesem Tag die mystische Bedeutung zukam, die man ihn gelehrt hatte.
Was niemand leugnen konnte war die Tatsache, dass viele Untergangsbesessene auf den Weltuntergangszug aufspringen wollten, und die Communitas Saturni gehörte definitiv dazu.
Er durchschritt zielstrebig den langen Gang des Gebäudes im Obergeschoss und blieb vor einer massiven Eichentüre stehen. Er zögerte einen Moment, dann klopfte er entschlossen an.
„Herein“, die Stimme drang nur gedämpft durch das schwere Türblatt, doch der warme, sympathische Tonfall war unverkennbar. Sven war erleichtert, dass der Mann, der ihm helfen würde, da war.
Er öffnete die Türe und trat in ein riesiges Zimmer, das von einem eindrucksvollen Schreibtisch dominiert wurde, hinter dem eine freundlich grinsende Gestalt gerade einer abgekaute Pfeife aus dem Mund nahm.
Sie war ausgegangen und Dr. Hermann Hesse klopfte sie geräuschvoll in einen Messingaschenbecher, um die Asche aus dem Pfeifenkopf zu lösen. Dann stopfte er mit stoischer Ruhe neuen Tabak hinein, zündete ein Streichholz an und paffte so lange, bis dicke weiße Schwaden aus seinem Mundwinkel quollen. Der aromatische Rauch verteilte sich schnell im ganzen Raum.
Dr. Hermann Hesse, der mit dem gleichnamigen Autor aus Calw nicht verwandt war, schaute Sven Richter verschmitzt an. Ein Mundwinkel ging dabei nach oben, während der andere durch das Gewicht der Pfeife nach unten gezogen wurde, woraus sich ein eigenartig schiefes Lächeln ergab.
Hermann Hesse war der amtierende Großmeister der Rosenbruderschaft. Er war ein hochgebildeter Mann, der wie Sven seit seiner Kindheit dazugehörte. Hermann Hesse war promovierter Physiker. Seine Frau war vor über zehn Jahren gestorben, und seine beiden Söhne verfolgten ihre eigenen Karrieren an den Universitäten des Landes.
„Mein lieber Sven, was kann ich für Dich tun?“, begann er herzlich in seiner angenehm sonoren Bassstimme, wobei er die Pfeife nicht aus dem Mundwinkel nahm. Sven hatte bereits über die Entführung Klaras berichtet, und man hatte gemeinsam entschieden, dass es besser wäre, sie nicht zu befreien, sondern den Saturnbrüdern zunächst freie Hand zu lassen, damit sie nicht in den Untergrund abtauchten.
Sven schilderte, wie er ihnen auf den Leim gegangen war, und dass Klara offensichtlich an einem anderen Ort versteckt wurde.
Hermann Hesse hörte sich die Geschichte stumm, lediglich unterbrochen durch das Saugen und Paffen an seiner Pfeife, zu Ende an.
„Das ist sehr ernst“, war sein erster Kommentar, „sie haben ein zweites Zentrum in der Nähe von Frankfurt. Wir haben dort jemanden eingeschleust.“
Er schaute auf die Uhr.
„Dieser Verbindungsmann nimmt jeden Abend um Punkt 22.00 Uhr Kontakt mit mir auf. Wenn sie dort ist, wird er es für uns herausfinden. Bitte warte so lange und unternimm nichts, um ihn nicht zu gefährden. Möchtest Du so lange hier bleiben, damit wir Dich über unsere Vorbereitungen für den Tag X informieren?“
Sven nickte. Er wusste ohnehin nicht, was er jetzt auf der Wache in Calw machen sollte. Ohne detaillierte Informationen über den Aufenthaltsort Klaras konnten
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