Gillian Shields - Der Zauber der Steine
alles hinter mir zu lassen. Es ist vorbei. Ich muss keine Angst mehr haben.
Nur eine Sache bleibt. Den bronzenen Reif habe ich behalten. Er ist wunderschön und anders als alles andere, was ich je gesehen habe. Wie konnten solch schreckliche Ungeheuer mir so etwas Schönes schenken? Auch das ist mir ein Rätsel, wie vieles andere auch.
Ich kam als kleines Mädchen nach Wyldcliffe, als Kind. Ich weiß jetzt, dass ich mein ganzes Leben lang behütet und beschützt worden bin. Ich hatte gedacht, das Glück fällt mir einfach in den Schoß. Ich hatte mir eingebildet, Zaks Freundschaft einfordern und gegen Miss Featherstone rebellieren zu können, ohne den Preis dafür zu zahlen. Jetzt weiß ich, dass das Leben so einfach nicht ist. Ich bin kein Kind mehr. Jede Entscheidung hat Konsequenzen, und ich muss lernen, meine Entscheidungen überlegter zu treffen.
Ich habe mich entschieden. Sobald es mir besser geht, werde ich nach Zak suchen. Es ist etwas zwischen uns entstanden, das ich nicht vergessen kann. Wenn seine Familie bereits weitergezogen ist, werde ich auf ihre Rückkehr im nächsten Frühjahr warten. Ich kann das Leben in dieser Schule besser ertragen, wenn ich weiß, dass wir irgendwann wieder zusammen sein werden. Und ich werde viel lernen und alles Wissen mitnehmen, das ich für mein späteres Leben brauche. Daphnes und Winifreds Freundschaft brauche ich dazu nicht. Ich werde mich von Wyldcliffe nicht unterkriegen lassen.
Aber das gehört nicht hierher. Ich habe alles gesagt, meine Geschichte ist zu Ende. Wenn ich wieder gesund bin, werde ich dieses Buch verstecken, bis es an der Zeit ist, es zu finden. Alles hat seine Zeit.
Wenn du eines Tages diese Zeilen liest, wer immer du auch sein magst, dann hoffe ich, dass du stark genug bist, diese Geheimnisse zu ertragen. Ich hoffe auch, dass du nicht in die Finsternis eintauchen musst. Und ich hoffe, dass du mir glaubst.
Alle diese Dinge geschahen im Frühjahr 1919. Mein Name ist Maria Adamina Melville, und jedes Wort ist wahr. Das schwöre ich.
Zwanzig
I ch wollte Sophies Worten nicht glauben. Es konnte einfach nicht wahr sein. »Was ist passiert?«, fragte ich noch einmal. »Wo ist Helen?«
»Sie haben sie in die Krankenstation gebracht. Aber ich habe sie gesehen, ich habe sie gefunden. Es war so furchtbar.« Wieder begann sie zu weinen.
»Wo hast du sie gefunden? Was meinst du?«
»Sie lag auf den Stufen vor dem Eingang, ihr Körper war völlig verdreht und … und … ich glaube, sie ist aus dem Fenster gestürzt. Oh Sarah, ihr Gesicht war ganz weiß, es war so schrecklich.«
»Ich muss sie sehen. Wo ist Miss Scratton?«
»Ich weiß nicht. Sie ist doch nach St. Martins’ gefahren, oder? Miss Hetherington ist bei Helen. Sie meinte, ich solle nach dir suchen und dich zur Krankenstation schicken.«
Ich fragte nicht weiter. Hastig brachte ich Starlight in den Stall und vergewisserte mich, dass er alles hatte, was er brauchte, dann rannte ich hinüber in die Schule, Sophie folgte mir.
Ich eilte die Marmortreppe zur Krankenstation hinauf und riss die Tür auf. Evie kauerte mit sorgenvollem Gesicht auf der äußersten Kante eines Besucherstuhls neben Helens Bett, Miss Hetherington sprach mit der Krankenschwester.
»Vielen Dank, Sophie«, sagte Miss Hetherington, als sie uns sah, »du hast uns sehr geholfen. Du hast einen Schock erlitten. Geh bitte mit der Schwester in den Gemeinschaftsraum, sie wird dir etwas Heißes zu trinken geben und eine Weile bei dir bleiben, dann wird es dir schon bald besser gehen.«
»Aber was ist mit Helen?«, fragte Sophie ängstlich. »Ist sie schwer verletzt?«
»Sie hatte einen fürchterlichen Unfall, aber der Arzt meint, sie hätte sich zum Glück nichts gebrochen. Keine Bange, Sophie, sie wird sich bald wieder erholen. Es ist nicht so schlimm wie anfangs gedacht.«
Sophie schien nicht ganz überzeugt, ging dann aber doch mit der Schwester aus dem Raum. Ich trat an Helens Bett. Sie hatte die Augen geschlossen, und ihr blonder Haarschopf ruhte auf dem weichen Kissen. Sie sah aus wie ein Kind. An der Wange klaffte eine Wunde, eine Hand war bandagiert. Das Mal auf ihrem dünnen Arm war deutlich zu sehen, ein tintenschwarzes Zeichen auf ihrer weißen Haut. Miss Hetherington seufzte: »So ein dummes Mädchen, hat sich in den Ferien ein Tattoo machen lassen. Und jetzt das.«
Sie sah uns freundlich, aber fragend an. »Ich möchte mich gerne ein wenig mit euch beiden unterhalten. Es sieht so aus, als wäre Helen aus Versehen
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