Gillian Shields - Der Zauber der Steine
hast immer wieder versucht, uns mit der drohenden Gefahr zu konfrontieren. Du hast uns gewarnt, aber ich wollte einfach nicht zuhören. Ich hätte … oh, ich hätte alles anders machen sollen.« Sie biss sich auf die Lippen, dann sprach sie weiter. »Ich wollte nach dieser schrecklichen Zeit einfach nur glücklich sein, und ich dachte, das gelingt nur, wenn ich einfach alles um mich herum ausblende. Aber so funktioniert das wohl nicht.«
»Ich glaube, das Glück kommt am ehesten dann, wenn du nicht danach suchst«, antwortete ich, »wir können es nicht erzwingen.« Diese Erkenntnis hatte ich Cal zu verdanken. »Aber ich mache dir keinen Vorwurf, Evie. Ich glaube, ich verstehe dich.«
»Wirklich?« Evie sah zögernd zu mir auf. »Sarah, kannst du mir verzeihen? Sind wir immer noch Schwestern?«
»Jetzt und für immer.« Ich nahm sie in den Arm.
»Für immer«, lachte sie. Dann wurde sie wieder ernst. »Was machen wir jetzt?«
»Wir müssen Miss Scratton suchen. Aber zuerst sprechen wir mit Sophie. Ich glaube, sie hat Miss Hetherington nicht die ganze Wahrheit gesagt.«
Wir fanden Sophie in einem der neu eingerichteten Gemeinschaftsräume. Sie saß in der Ecke, tief über eine dampfende Tasse heiße Schokolade gebeugt. Einige der jüngeren Mädchen diskutierten lautstark über ein Brettspiel, im Hintergrund war ein Popsong aus dem Radio zu hören. Obwohl überall Bücher und Zeitschriften ausgelegt waren, wirkte der Raum mit den schweren roten Velourstapeten und dem Kamin aus schwarzem Marmor düster und bedrückend. Sophie sah dankbar auf, als wir uns neben sie setzten.
»Ich hoffe, es geht dir etwas besser, Sophie«, begann ich. Sie tat mir leid. Sie war zwar schwach und voller Selbstmitleid, aber so unglücklich zu sein, das hatte sie nicht verdient. »Danke, dass du wegen Helen Alarm geschlagen hast.«
»Es war so schrecklich, sie da liegen zu sehen. Wie sie mit leeren Augen in den Himmel starrte, reglos und kalt, ich dachte, sie wäre …« Tränen kullerten aus Sophies blauen Augen. »Ich hatte ein furchtbares Wochenende, und dann noch die letzte Nacht.«
»Warum? Was ist letzte Nacht passiert?«
»Ach, das hat alles mit einem dummen Scherz angefangen. Es war Velvets Idee. Ich weiß, sie tut alles dafür, von der Schule zu fliegen, aber ich will das ganz und gar nicht, meine Eltern würden den Verstand verlieren. Ich glaube, sie ist ein bisschen verrückt. Ab jetzt möchte ich nichts mehr mit ihr zu tun haben. Natürlich reden Celeste und India auch nicht mehr mit mir, weil ich mit Velvet zusammen war, und ich … ich fühle mich so erbärmlich. Die letzte Nacht war ein Alptraum.« Wieder begann sie zu weinen.
»Was ist letzte Nacht denn so Schreckliches passiert?«, fragte ich.
Sophie stöhnte auf und schnäuzte sich die Nase. »Es war die Hölle. Velvet war den ganzen gestrigen Tag besessen von der Idee, den Mai zu begrüßen – du weißt schon, weil heute doch der 1. Mai ist. Wir sollten uns alle um Mitternacht bei der verfallenen Kapelle treffen, um so ein blödes Ritual zu feiern, wegen Wal… Wal irgendwas.«
»Walpurgisnacht, das ist ein sehr altes Fest«, sagte Evie.
»Genau, das war es. Aber ich wollte nicht! Das war schon das dritte Mal, wo wir mitten in der Nacht aus dem Bett sollten, und ich hatte solche Angst, erwischt zu werden. Deshalb versuchte ich sie zu überzeugen, dass der Maitag mit frühem Aufstehen, mit erwachender Natur, mit Morgentau, mit Herumtanzen und mit Blumen im Haar zu tun hat. Und nicht damit, um Mitternacht irgendwo herumzugeistern. Aber sie hörte gar nicht hin, sondern lachte mich wegen meiner Angst bloß aus. Und die anderen lachten auch. Ich konnte nicht anders, als mitzugehen. Aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan.«
»Was ist denn nun wirklich passiert?« Langsam begann sie, mich zu nerven. Bis jetzt ging es nur um Velvets Angeberei und ihre verrückten Ideen.
»Versprecht ihr, dass ihr es niemandem erzählen werdet?«
»Ja, versprochen! Aber jetzt komm zur Sache!«, sagte ich.
Sophie schauderte. »Wir sind also um Mitternacht in die Ruine geschlichen, ich, Annabelle, Julia und die anderen. Velvet hatte Kerzen und anderen Krimskrams aus dem Regal im Speisesaal mitgebracht. Jede von uns musste eine Kerze halten, als sie mit ihrem Hokuspokus begann. Mir war kalt, ich wollte zurück, aber Velvet war wie im Rausch. Sie trug schwarze Klamotten und hatte sich gruselig geschminkt. Wir mussten um den Altar kreisen und singen ›Wir rufen die Geister der
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