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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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Toten, wir rufen die Geister der Toten‹, immer und immer wieder. Annabelle kicherte nur, aber ich hatte Angst. Ich musste an Laura denken und daran, wie man sie tot im See gefunden hatte, nur wenige Meter von der Kapelle entfernt. Und daran, dass dieser Ort einmal ein Gotteshaus gewesen war. Was wir taten, war falsch, ein Sakrileg, versteht ihr? Aber Velvet hörte einfach nicht auf. Immer wieder rief sie die Geister der Toten an.«
    Sophie blickte sich verstohlen zu den Mädchen in der anderen Ecke um, lehnte sich zu uns herüber und flüsterte: »Dann wurde es noch schlimmer. Velvet wurde auf einmal ganz ernst, ihr Gesicht wirkte maskenhaft starr, fast verzweifelt. Sie befahl uns, einen ›Befreiungsritus‹ zu machen, damit sie von Wyldcliffe wegkäme. Sie zeichnete mit einem Messer einen Kreis auf den Boden, wir mussten uns in den Kreis stellen und ein Freiheitsgelübde ablegen. Ich wollte erst nicht, aber sie hat mich dazu gezwungen.«
    »Warum bist du nicht einfach weggerannt?«, fragte Evie.
    »Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Ich hatte Angst zu gehen und Angst zu bleiben. Und dann holte Velvet eine Flasche Wein, die sie aus der Kantine gestohlen hatte, aus ihrer Tasche. Wir mussten eine nach der anderen davon trinken und gemeinsam mit ihr sagen: ›Das ist das Blut meiner Feinde, das Blut meiner Mutter. Ich sage mich von ihr los. Ich bin jetzt eine Tochter der Finsternis.‹ Ich weiß, es klingt blöd, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, wie Velvet aussah, als sie all das mit feierlicher Stimme von sich gab. Dann schüttete sie etwas Wein auf den Boden, das sei eine Opfergabe für die Geister der Toten. Sie begann wie besessen zu tanzen und sich zu drehen und behauptete, sie sei in Trance oder so was. Sie murmelte: ›Mit dieser Klinge und diesem Wein erlöse ich jeden Gefangenen, jedes Tier in der Falle und jeden gefesselten Geist. Ich fordere Freiheit für mich und für alle um mich herum.‹ Die anderen im Kreis hielten sich an den Händen, sangen ›Freiheit, Freiheit‹ und lachten, als wäre das alles ein großer Spaß.
    Aber dann, vielleicht war es der Wein, passierte etwas.« Sophie stockte und schien in ihren Erinnerungen zu versinken. »Velvet war völlig … völlig außer sich, vielleicht tat sie aber auch nur so, keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Jedenfalls machte sie mir Angst. Sie war plötzlich stocksteif und rief: ›Wir nehmen uns die Freiheit. Wir sind die Geister der Toten. Wir sind die Priesterinnen.‹«
    »Wir sind die Priesterinnen?« Evie und ich schauten uns alarmiert an.
    »Ja, und Annabelle meinte dann: ›Das ist ja alles sehr lustig, Velvet, aber du kannst jetzt aufhören.‹ Aber Velvet starrte uns nur mit weit aufgerissenen Augen an, immer wieder wiederholte sie mit monotoner Stimme: ›Wir sind die Priesterinnen, wir sind die Priesterinnen, macht euch bereit für das Ende.‹ Und es wirkte alles so echt, als ob sie es wirklich glauben würde. Im nächsten Moment krachte es fürchterlich, und ich hätte vor Schreck fast aufgeschrien. Ein riesiger Steinbrocken hatte sich aus der Ruine gelöst und war heruntergestürzt. Wenn er eine von uns getroffen hätte, wäre sie sicher tot gewesen.
    Ich hatte jetzt wirklich genug und verließ den Kreis. Ich befürchtete, dass wir mit unserem Spuk die ganze Schule aufgeweckt hatten. Als Velvet aus dem Kreis heraustrat, war sie wie ausgewechselt. Sie schien wieder sie selbst zu sein, lachte herausfordernd und nahm noch einen Schluck Wein. Aber ich wollte keine Minute länger bleiben, ergriff die Flucht und rannte zur Schule zurück. Zum Glück hatte mich niemand gesehen, aber trotzdem wurde ich das unangenehme Gefühl nicht los, die ganze Zeit über beobachtet worden zu sein. Sie würden mich erwischen, da war ich sicher. Als ich aufwachte, fühlte ich mich schrecklich.« Sie schniefte erneut. »Und jetzt auch noch die Sache mit Helen. Dabei hatte ich mich so auf das Sommerhalbjahr gefreut.«
    Schweigen machte sich breit, dann fragte Sophie schüchtern: »Meint ihr, wir bekommen Ärger wegen des Steins, der aus dem Gemäuer gebrochen ist? Die Ruine ist doch bestimmt ein Vermögen wert.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand den Schaden mit euch in Verbindung bringt, Sophie«, tröstete ich, »wahrscheinlich musste der Steinbrocken nach so vielen Jahren einfach runterfallen, es hatte sicher gar nichts mit Velvet zu tun.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Sophie unbehaglich, »sie behauptet, dass sie Dinge geschehen lassen kann.

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