Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Oberfläche katapultiert wurde. Es war Zaks Vater, der wie ein Fisch nach Luft schnappte, leichenblass, aber er lebte. Seine Brüder fingen ihn auf und stellten ihn auf die Füße. Er schwankte.
»Lasst uns das Mädchen«, wiederholten die Kinsfolk ihre Forderung.
»Nein!«, schrie Zak, aber Fairfax gebot ihm mit einer raschen Handbewegung, still zu sein.
»Das Mädchen bleibt. Sie ist eure Königin«, verkündete er, »nehmt sie euch.«
Als die Kreaturen mich mit ihren schuppigen Klauen berührten, geriet ich in Panik. Ihre Augen starrten mich unverwandt an, und bevor ich begriff, wie mir geschah, hatten sie meine Kleider in Fetzen gerissen. Dann wurde mir ein bronzefarbener Reif auf den Kopf gedrückt. Ich wollte schreien, aber ich hatte keine Luft und keinen Willen mehr. Ich hörte Zak rufen: »Maria, Maria, komm zurück! Fasst sie nicht an!« Ängstliches Murmeln machte sich breit, aber Fairfax sah nur schweigend zu. Einer der Kinsfolk trat einen Schritt nach vorne.
Er hatte ein Steinmesser in der Hand, mit dem er leicht in meine Wange ritzte. Als die Wunde zu bluten begann, setzten die Trommeln erneut ein, lauter und lauter, immer wilder, bis sich der ohrenbetäubende Lärm tief in meinen Körper, in mein Blut und in meine Seele bohrte.
»In den Tod hinab!«, schrien die Kinsfolk, und einer hob den Arm, um mir das Steinmesser ins Herz zu stoßen. »Nein, nein!«, schrie Zak, aber eine andere Stimme übertönte ihn.
»Mein Wille geschehe!«, brüllte Fairfax. Das Steinmesser zerbarst. Die Höhlenwände begannen zu zittern und zu wanken, schwere Felsbrocken fielen von der Decke. Einer traf mich am Bein, und ich schrie vor Schmerz auf. Fairfax zog Zak und mich zu sich und warf seinen Umhang über uns. Ich hörte ihn mit drohender Stimme Gebete und Flüche sprechen, und dann, ich weiß nicht wie, stürzte die gesamte Höhle in sich zusammen, und ein Wind, stark wie ein Orkan, brauste auf. Ich dachte, das Ende wäre gekommen.
Nur einen Moment später wurden wir nach oben geschleudert, direkt in den Steinkreis auf dem Hügel. Fairfax, Zak, sein Vater und die Brüder, alle waren da. Ich blutete immer noch. Die Roma waren besorgt. Die wütenden Schreie und die wirbelnden Trommeln der Kinsfolk hallten immer noch in meinen Ohren. Aber dann hörte ich, wie jemand laut meinen Namen rief. Erst dachte ich, es sei meine Mutter. Aber es war ein Mädchen, und es rief: »Maria, Maria, sprich zu mir.« Ich kannte sie nicht, aber die Stimme lässt mich bis heute nicht los.
Das war’s. Das war meine Geschichte. Genau wie Josef gesagt hat, sind wir durch die schwärzeste Finsternis gewandert und haben die bösen Geister gesehen. Fairfax erzählte uns etwas über die Kinsfolk, längst vergessene Höhlenwesen, die aus einer Zeit stammen, als die Erde noch jünger war. Er habe sie erneut in einen tiefen Schlaf versetzt, viele Winter lang, für mich bestehe keine Gefahr mehr. Nicht alles von dem, was er sagte, habe ich wirklich verstanden, ich war einfach nur glücklich, dass ich frei und Zaks Vater in Sicherheit war. Zak umarmte mich, aber wir wussten nicht recht, ob wir lachen oder weinen sollten, wir hielten uns einfach aneinander fest. Die Männer sangen ein Loblied auf Fairfax, nannten ihn »Bruder« und trugen ihn auf ihren Schultern. Auch ich war Fairfax natürlich von Herzen dankbar, aber gleichzeitig ängstigte er mich auch. Er ist nicht wie die anderen. Er ist wie eine schwarze Flamme in der Nacht. Woher wusste er so viel über die Kinsfolk? Wie war es ihm gelungen, uns aus der Höhle zu bringen? Welche seltsamen Wege war er in seinem Leben gegangen?
Nach unserer Flucht muss ich wohl in Ohnmacht gefallen sein, denn ich weiß nicht mehr, wie ich zurück in die Schule gekommen bin. Als ich in der Krankenstation erwachte, schimpfte die Schwester mit mir, weil ich alleine ausgeritten war. Sie sagte, Cracker hätte mich abgeworfen und mein Knöchel sei gebrochen. Zum Glück hätte mich ein junger Roma gefunden und nach Wyldcliffe Abbey gebracht, so schlimm seien diese Leute wohl doch nicht.
Niemand hier in der Schule kennt die Wahrheit, nur Miss Scarsdale. Ich musste es ihr erzählen, selbst auf die Gefahr hin, dass sie mich für verrückt hielt. Aber sie glaubte mir und schlug vor, die Geschichte in dieses Buch zu schreiben. Jetzt kann ich loslassen, sagte sie, wie bei einem bösen Traum. Eines Tages wird jemand diese Geschichte lesen und darüber glücklich sein.
Ich habe es beinahe geschafft. Ich bin bereit, das
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