Gillian Shields - Der Zauber der Steine
konnte ihr ekelhaft süßes Parfüm riechen und die dicke Puderschicht erkennen, die auf ihren Wangen lag. Als ich ihr über die Schulter blickte, sah ich, dass sie das Zimmer durchsucht hatte. Bücher und Papiere waren wahllos auf dem Boden verstreut. Wonach hatte sie gesucht? »Und wie ich hörte, hatte auch Helen ein kleines Missgeschick«, fuhr Miss Dalrymple fort, »ihr macht euch sicher Sorgen. Immerhin seid ihr euch sehr nahe, oder? Fast …«, ihre Stimme bebte, »fast wie Schwestern.«
Ohne Vorwarnung umklammerte Miss Dalrymple meinen Arm so fest, dass ich nach Luft schnappte. »Wir beobachten euch«, flüsterte sie, »ihr solltet sehr, sehr vorsichtig sein, sonst warten schlimme Zeiten auf euch.«
»Nehmen Sie Ihre Hände weg!« Aus Evies Augen sprühten Blitze. »Wir wissen alles über Sie und Ihre widerlichen Freundinnen. Wir haben keine Angst vor Ihnen und Ihrer edlen Priesterin, oder wie auch immer sie sich jetzt nennen mag.«
Über Miss Dalrymples Gesicht huschte ein Ausdruck der Verwunderung, doch dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Was haben Sie mit Miss Scratton gemacht?«
»Ich? Meine liebe Sarah, ich fürchte, du hast Fieber. Du musst dich beruhigen. Wenn du weiterhin an deinen absurden Verdächtigungen festhältst, wirst du Ärger bekommen. Und du musst wissen«, fuhr sie mit einem selbstgefälligen Lächeln fort, »unsere allseits geliebte Oberste Mistress liegt im Krankenhaus von Wyldford Cross. Ein furchtbarer Unfall. Eine Katastrophe.«
Sie schlug uns die Tür vor der Nase zu und ließ uns einfach stehen. Uns fehlten die Worte. Eine einzige Nacht und ein dummer Streich genügten, und nichts war mehr wie vorher. Zuerst Helen, dann die Attacke auf Miss Scratton. Wer würde das nächste Opfer von Mrs Hartle und ihren Helfershelfern sein?
Einundzwanzig
S ieht so aus, als hätten sie herausgefunden, dass Miss Scratton nicht auf ihrer Seite ist«, sagte Evie.
»Und Mrs Hartle steckt hinter dem Ganzen, als Priesterin, oder wie auch immer sie sich jetzt nennt«, fügte ich hinzu.
Wir saßen mit Josh und Cal in der Morgensonne vor der Schäferkate.
Evie und ich waren noch vor dem Frühstück zusammen mit Josh zu unserem Treffpunkt geritten und hatten alles erzählt.
»Ihr meint also, dieser Autounfall war Teil eines Plans?«, fragte Cal.
Die Nachricht war gestern nach dem Abendgebet verkündet worden. Augenscheinlich war der Minibus, in dem Miss Scratton und die Schülerinnen auf dem Rückweg von St. Martin’s unterwegs waren, ins Schleudern geraten, als ein Hirsch über die Straße rannte. Die Mädchen waren mit Schnittwunden und leichten Verletzungen vorsorglich ins Wyldford Cross Hospital eingeliefert worden, Miss Scratton dagegen hatte schwere Kopfverletzungen erlitten. Es war schrecklich, auch nur daran zu denken.
»Ich bin sicher, dass beides Absicht war«, sagte ich. »Helen und Miss Scratton hatten ›Unfälle‹, direkt nach Velvets Beschwörungsritualen, in denen sie die Geister der Toten angerufen und befreit hat. Die Attacken müssen von Mrs Hartle ausgegangen sein.«
Cal runzelte zweifelnd die Stirn. »Aber ich dachte, dass Miss Scratton ebenfalls über übernatürliche Kräfte verfügt. Wie konnte sie dann so einfach aus dem Hinterhalt überwältigt werden?«
»Miss Scratton ist ein Wächter«, erklärte ich, »sie hat in verschiedenen Epochen der Geschichte Wyldcliffes gelebt, unter verschiedenen Namen und in verschiedenen Rollen. Sie war eine Lehrerin, eine Heilerin und eine Ordensschwester im alten Frauenkloster. Das ist alles, was wir wissen, und selbst das hätte sie uns nicht erzählen dürfen. Aber ich glaube nicht, dass sie einfach wieder auftauchen und alles regeln kann. Das müssen wir schon selber machen. Sie kann uns führen, das ist alles.«
»Aber warum konnte sie sich nicht gegen den Angriff von Mrs Hartle schützen?«, fragte Josh.
»Keine Ahnung, vielleicht weil die Attacke überraschend kam. Wie auch immer, sie ist nicht unbesiegbar. Ihr Geist mag zwar aus einem mystischen Reich stammen, aber sie lebt in der realen Welt. Ihre Knochen können bei einem Autounfall ebenso brechen wie die Knochen aller anderen Menschen auch. Ich hoffe nur, dass sie schnell wieder gesund wird.«
»Sagte sie nicht, sie könnte nicht in Wyldcliffe bleiben?«, fragte Evie. »Weil sie uns ihr Geheimnis verraten hat … Meinst du, dass sie deshalb von hier wegmusste?«
Wir hatten so viele Fragen, auf die uns niemand eine
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