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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Band 3
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Einen Augenblick lang blieb ich stehen. »Wenn ihr mir helfen wollt, dann geht …«, ich wagte es kaum auszusprechen, »dann geht zum Fluss und sucht nach Evie. Wenn sie wirklich … wenn ihr Körper dort ist …«
    »Sie ist nicht tot, Sarah, das verspreche ich«, sagte Josh, und für einen Moment glitt ein schwaches Lächeln über sein Gesicht.
    »Wie kannst du so sicher sein?«
    »Ich kann sie fühlen, hier«, sagte er und tippte sich an die Stirn, »und ich sehe sie wie eine leuchtende Flamme in der Dunkelheit.«
    Ich hoffte mit jeder Faser meines Körpers, dass er Recht hatte und dass die inaktive mythische Verbindung mit Agnes ihm den Weg weisen würde. »Wir werden trotz allem nach ihr suchen«, fügte er hinzu, »wir müssen zum Fluss.«
    »Danke, ich danke dir so sehr«, stammelte ich, »wir sehen uns in der Schule. Ich muss zu Helen! Ich darf keine Zeit mehr verlieren.«
    Für einen Augenblick standen Cal und ich uns jetzt gegenüber. »Ich will nicht, dass du alleine gehst, das ist zu gefährlich.«
    »Ich bin nicht allein, ich habe ja dich.« Ich beugte mich zu ihm und küsste ihn, dann löste ich mich wieder. »Wirst du Evie finden, zusammen mit Josh? Versprichst du mir das?«
    »Ich verspreche es dir«, er zog mich erneut an sich, »und ich breche nie ein Versprechen.« Dann wandte er sich Josh zu, und beide verschwanden in Richtung der Moors . Ich eilte zurück in die Schule, so schnell, als ob die Priesterin und ihre Höllenhunde mir schon auf den Fersen wären.
    Die Tür zum Krankenzimmer knarrte, als ich in den klinisch weißen kühlen Raum schlüpfte. Ich war wie betäubt. Nichts schien mehr zu sein, wie es war. Der Rückweg vom Friedhof, das Betreten des stillen Schulgebäudes, die Angst, auf der Treppe entdeckt zu werden, alles durchlebte ich wie in Trance. Einzig und allein Agnes’ Nachricht war Realität. Ich musste meine Schwestern finden und sie retten.
    In einer Ecke der Krankenstation tickte eine Uhr. Dort stand Helens Bett, die drei anderen weiß bezogenen Betten waren leer. Eine Tür führte ins Zimmer der Krankenschwester.
    »Oh Gott, ich danke dir … ich danke dir.« Ich war so glücklich, dass Helen noch hier war, der Schock über ihren Zustand kam erst später bei mir an. Es war genau, wie ich es auf dem Bild an Agnes’ Grab gesehen hatte. Sie lag auf dem Rücken, ihre leeren Augen starrten an die Zimmerdecke. Sie atmete flach und röchelnd, mit häufigen Aussetzern, jeder Atemzug schien ihr schwerzufallen. Ich fühlte ihren Puls, er war kaum noch zu spüren. Eine ferne Stimme in meinem Kopf, die aus einer anderen Welt zu kommen schien, flüsterte mir zu, ich solle die Krankenschwester wecken und einen Krankenwagen rufen. Aber kein Arzt der Welt würde Helen helfen können. Mrs Hartle und ihre Jünger hatten Helen, Laura und alle anderen für ihre Zwecke missbraucht. Jede noch so gute Medizin wäre machtlos gegen die Kraft, die Helen in ihrem unerbittlichen Bann hielt. Es war das ätzende Gift der Priesterin, das in ihren Venen pulsierte. Sophie hatte Recht gehabt. Trotz oder vielleicht gerade wegen der Pflege der Krankenschwester war Helen dem Tode nah.
    Als ich mich über ihr kalkweißes und selbst jetzt noch schönes Gesicht beugte, kamen mir Miss Hetheringtons Worte wieder in den Sinn. Hatte Helen nicht vielleicht doch Selbstmord begehen wollen? Wäre es dann nicht ein Fehler, sie retten zu wollen?
    Unzusammenhängende wirre Bilder schossen mir durch den Kopf: Helens Aufschrei, als sich ihre Mutter den Unbesiegten Lords ergab; Helen auf dem Dach der Schule, wie sie ins Leere tritt; Helen, die mit uns durch Zeit und Raum reist wie eine Sternschnuppe. Helen: ungeliebt, tragisch, missverstanden. Nie war sie wirklich glücklich gewesen. Vielleicht wäre es besser, sie einfach gehen und ihren Frieden finden zu lassen. War es das, was sie wollte? Ich zögerte. Tat ich wirklich das Richtige?
    Meine Finger umklammerten die schmale Glasphiole, die ich immer noch in meiner Tasche hatte. Ich musste es versuchen. Ich konnte nicht aufgeben und Helen erst recht nicht. Sie hatte in ihrem Leben noch nie eine richtige Chance bekommen. Aber jeder hatte eine Chance verdient.
    Ich entkorkte das Fläschchen und träufelte etwas Flüssigkeit auf ihre Lippen, dann betupfte ich ihre Stirn mit dem Rest. Helen stöhnte und bewegte sich ein bisschen. Ihr Arm veränderte die Position auf der weißen Bettdecke, ich sah das leuchtende Mal auf ihrer Haut und bemerkte, dass ihre Hand zu einer Faust geballt

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