Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Das denkt ihr also? Dass ich keine Gefühle habe, nur weil mein Gesicht in den Zeitungen auftaucht?«
»So hat Ruby das nicht gemeint«, versuchte ich zu beschwichtigen.
»Vergiss es. Du hast Recht, Ruby. Niemand sollte sich mit mir einlassen. Ich sollte gar nicht erst versuchen, Freundinnen zu finden oder Spaß zu haben.« Ihr Ton war scharf wie ein Messer. Sie riss sich das Nachthemd herunter und quälte sich in die Schuluniform. »Ich bin ein schlechter Einfluss.« Velvet war außer sich. »Ich sollte diejenige sein, die man verletzt. Jeder hasst mich, sogar meine eigene Mutter.« Sie zog wütend ihre Schuhe an, stand auf und beugte sich über mich. Ihr Gesicht war jetzt so nahe, dass ich die samtige Oberfläche ihrer zarten Haut sehen und ihr schweres Parfüm riechen konnte. »Ich hätte es gerne mit dir versucht, Sarah. Ich wäre bestimmt eine bessere Freundin gewesen als diese pampige rothaarige Evie Johnson oder diese verrückte Helen Black. Aber jetzt ist es zu spät. Und wenn wir keine Freundinnen sein können, müssen wir eben Feindinnen sein.«
»Sei nicht so …«
»Feindinnen!«, stieß sie wütend hervor und rauschte aus dem Zimmer.
Noch ganz aufgewühlt begann ich mich anzuziehen. Tief in meinem Inneren tat Velvet mir leid, aber ich hatte auch Angst vor ihr. Was sollte ich von ihr halten? War sie nur eine melodramatische Angeberin oder etwas viel Gefährlicheres? Als ich schließlich die Marmortreppe herunterging, sagte ich mir, dass ich im Moment nur an eine Person denken sollte, und das war Evie. Helen war vom Rand des tödlichen Abgrunds ins Leben zurückgekehrt, aber Evie war immer noch verschwunden, und jede Stunde, jede Minute war kostbar im Wettlauf gegen die Zeit.
Als ich in den Speisesaal kam, war ich überrascht, Helen zu sehen. Sie saß am Tisch, leichenblass und erschöpft.
»Warum ruhst du dich nicht noch aus?«, fragte ich.
»Ich habe die Krankenschwester überzeugt, dass ich fit genug bin, um wieder in die Schule zu gehen«, antwortete sie, »ich habe kein Fieber mehr, und sie konnte auch sonst nichts finden, deshalb hat sie mich gehen lassen.«
Ich war erleichtert, sie wieder an meiner Seite zu haben, aber sie wirkte immer noch etwas angeschlagen. Ihre Augen zuckten hektisch hin und her, und sie rührte das Frühstück nicht an.
»Kann ich es sehen?«, fragte sie mich leise.
»Was?«
»Das Zeichen … das Ding, mit dem du mich letzte Nacht berührt hast, um mich zu retten.«
Ich griff in die Tasche und zog die Brosche heraus. Aus irgendeinem Grund, den ich mir nicht näher erklären konnte, widerstrebte es mir, sie ihr zu geben.
»Woher hast du sie, Helen?«
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. »Miss Scratton hat sie mir gegeben, bevor sie nach St. Martin’s aufgebrochen ist. Sie hätte das Schmuckstück in ihrem Arbeitszimmer gefunden, sagte sie, die Brosche hätte meiner Mutter gehört, und deshalb sollte ich sie als Andenken bekommen.«
»Aber woher hatte sie die überhaupt? Die Brosche hat dir doch schon als Baby gehört. Du hast doch erzählt, dass sie dir jemand im Kinderheim weggenommen hat?«
»Vielleicht ist das, was ich damals gesehen habe, gar nicht die Wahrheit gewesen, vielleicht war es nur ein Traum. Vielleicht hat das Heim die Brosche vorübergehend aufbewahrt und meiner Mutter zurückgegeben, als sie mich Jahre später dort abgeholt hat. Was soll’s, das spielt sowieso keine Rolle mehr. Jetzt ist sie jedenfalls wieder da.«
Sie nahm mir die Brosche aus der Hand und steckte sie an ihr Unterhemd unter der Uniformbluse.
»Tu das lieber nicht, Helen«, warnte ich flüsternd, »sie ist ein Zeichen des Bösen, oder etwa nicht? Wenn wir Miss Scratton nicht trauen können, sollten wir sehr vorsichtig mit Dingen sein, die sie dir gegeben hat. Außerdem stammt die Brosche von deiner Mutter. Noch ein Grund mehr, misstrauisch zu sein.«
»Aber ich war doch nur ein Baby! Meinst du nicht, dass meine Mutter mir wenigstens ein Andenken hinterlassen hat, das gut für mich war?« Ihre Stimme zitterte. »Die Brosche hat mich immerhin aus Miss Scrattons Bann befreit.«
»Aber warum sollte Miss Scratton sie dir geben, wenn du sie gegen sie selbst einsetzen kannst?«
»Ich weiß es nicht! Vielleicht dachte sie, das sei nur ein wertloses Schmuckstück. Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Es ist ein Geschenk von meiner Mutter, bevor sie so wurde, wie sie heute ist. Du kannst mich nicht davon abhalten, die Brosche zu
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