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Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02

Titel: Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das heilige Feuer
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erschrocken dreinblickenden Augen. »Ich will mit dir nie wieder über irgendetwas reden.«
    »Wie meinst du das?«, fragte sie entsetzt.
    »Genauso, wie ich es gesagt habe. Geh und such dir jemand anderen, dessen Sachen du zerstören kannst, Harriet, denn ich will nicht, dass du mir jemals wieder irgendwie nahe kommst. Hast du mich verstanden?«
    Die Kinnlade fiel ihr herunter, und auf ihrer blassen Haut bildeten sich rötliche Flecken. Sie sah zerknittert und nutzlos und vollkommen erbärmlich aus. Ich spürte, wie meine Wut abkühlte, aber sie brach in Tränen aus und drängte sich an mir vorbei, lief dann schwerfällig die Marmortreppe hinunter.
    »Harriet, warte!«
    Es war zu spät. Sie war weg.
    Mir war übel vor Erschöpfung, und insgeheim schämte ich mich. Dann fiel mir das zerrissene Tagebuch ein, das ich immer noch in der Hand hielt, und eine Woge von Selbstmitleid schlug über mir zusammen. Ich konnte jetzt nicht nach unten in den Unterricht gehen. Stattdessen hastete ich zu dem verborgenen Alkoven, von dem aus man zu der geheimen Treppe kam, und schloss mich in den alten Unterkünften der Bediensteten ein, die von den Schulräumen getrennt waren. Ich ertastete mir im Dunkeln den Weg und schlich die schmalen Stufen zum Dachgeschoss hoch. Dann betrat ich Agnes’ geheimes
Arbeitszimmer, setzte mich an ihren Schreibtisch und legte meinen Kopf auf die Arme. Ich gestattete mir, diese Welt zu verlassen, während ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf hinüberglitt.
    Als ich aufwachte, wusste ich zunächst nicht, wo ich war. Einen Moment lang glaubte ich, ich wäre zu Hause am Meer in unserem Häuschen, aber als ich nach der Kerze tastete, die auf dem Tisch stand, und sie anzünden wollte, fiel mir alles wieder ein. Die Bürde des Unglücklichseins senkte sich wie eine schwere Last auf mich. Ich saß da und starrte in die zuckende Kerzenflamme, und ich begriff, dass ich an der Art und Weise, wie ich empfand, nicht das Geringste ändern konnte. Ich musste jetzt mit diesem Schmerz leben. Meine Hände zitterten, meine Augen brannten, und meine Eingeweide schmerzten, aber ich musste weiterleben. Ich musste essen und schlafen und arbeiten und unter Leute gehen. Es gab keinen anderen Weg. Ich hatte in Büchern und Zeitschriften über Mädchen gelesen, die ohne ihren vollkommenen Freund »nicht leben konnten«, aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Selbst dann, wenn man so unglücklich ist, dass nichts mehr wirklich zu sein scheint, hört das Leben nicht auf.
    Ich sah mich in dem kleinen Raum um, der mit Agnes’ Sachen vollgestopft war, und fragte mich, ob ich jemals wieder hier heraufkommen würde. Die Krüge mit den Kräutern und Kerzen und den geheimnisvollen Zutaten hatten mir nicht gegeben, was ich gesucht hatte. Der Mystische Weg hatte mich im Stich gelassen, oder vielleicht hatte auch ich den Mystischen Weg im Stich gelassen. Ich fand ein Stück helle Seide auf einem der Regale
und wickelte die zerfetzten Reste von Agnes’ Tagebuch darin ein. Ich brauchte es nicht mehr. Als ich die Schublade des Schreibtischs öffnete, um das Bündel zu verstecken, erinnerte ich mich daran, dass wir dort auch das Buch versteckt hatten. Ich zögerte, dann nahm ich den schweren, ledergebundenen Band heraus. Die silbernen Buchstaben auf dem Deckel schienen wie kleine Fetzen aus Mondlicht zu leuchten. Ein Weg des Heilens und der Macht … Ich brauchte so dringend Heilung. Ich blätterte ein paar Seiten um, und das Buch öffnete sich von allein an einer bestimmten Stelle. Ich sah das Bild eines Engels, Seite an Seite mit einem Skelett im Kapuzenumhang. Das Geschenk des Todes .
    Einen schrecklichen Moment lang blitzte die Erinnerung an Harriet in mir auf, wie sie zusammengekrümmt am Fuß der Marmortreppe lag. Ich hatte die Wahl, konnte zu diesen hypnotisierenden schwarzweißen Fliesen hinunterspringen und mich ähnlich einer Schachfigur, die in einem großen Spiel geopfert wurde, wegwerfen. Dann würde der Schmerz vorüber sein. Es würde nie wieder weh tun. Ich klappte das Buch mit einer entschlossenen Bewegung zu und schob es zusammen mit Agnes’ Tagebuch schroff in die Schublade zurück.
    Nein, so etwas würde ich niemals tun. Dies würde nicht das Ende meiner Geschichte sein. Ich musste weiterleben, ganz egal, wie sehr es schmerzte, genauso, wie Sebastian jetzt seinem eigenen Schicksal gegenüberstand. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, dass ich den ganzen Tag geschlafen hatte. Draußen musste es dunkel

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