Gillian Shields - Die Schwestern der Dunkelheit - 02
sein – die dunkelste Nacht, die ich jemals erlebt hatte. Der Neumond würde wie ein silbernes Versprechen
aufgehen. Um Mitternacht würde Sebastian für immer in die Schatten verschwinden, und es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. Ich stand auf und ging langsam nach unten, zurück zur Schule. Zurück in die Wirklichkeit.
Sarah und Helen unterhielten sich leise beim Kamin in der Eingangshalle, als ich die unterste Treppenstufe erreichte. Sie sahen besorgt zu mir hin und holten mich dann zu sich zum glühenden Feuer. »Du bist ja ganz kalt!«, sagte Sarah. »Wir haben den Lehrerinnen gesagt, dass du heute Morgen Kopfschmerzen gehabt hast und zur Krankenschwester gegangen bist. Hoffen wir, dass es niemand überprüft. Oh, Evie, es tut uns so leid …«
Die große Vordertür wurde plötzlich aufgeweht, und ein Windstoß und ein paar Regentropfen kamen über die Schwelle. Ein Sturm braute sich draußen zusammen, und die Bäume schwankten im heftigen Wind.
»Mach die Tür zu, Evie!«, sagte Miss Hetherington, die gerade durch die Halle kam. »Es wird eine schlimme Nacht werden.« Ich schloss die Tür, wie sie es mir aufgetragen hatte, erhaschte aber vorher einen kurzen Blick auf den Mond, dessen dünne Sichel sich hoch am Himmel hinter dahineilenden Wolken abzeichnete.
Wir hingen eine Weile planlos herum, dann gingen wir in die Bibliothek, wo wir hofften, an einem ruhigen Platz zusammensitzen zu können, bevor die Glocke uns zum Schlafengehen aufforderte. Ich war dankbar dafür, dass die Bibliothek leer war, und dann fiel mir wieder ein, dass für den Abend eine musikalische Veranstaltung angesetzt worden war. Ich vermutete, dass die meisten Schülerinnen nach dem Essen dorthin gegangen waren.
»Du hast den ganzen Tag nichts gegessen, Evie. Hier, nimm wenigstens davon was.«
Sarah reichte mir einen Riegel Schokolade. Ich hatte keinen Hunger, aber ich versuchte trotzdem, etwas zu essen, um sie zufriedenzustellen, während Helen abwesend ins Leere starrte. Es gab nichts zu sagen, nichts zu tun, nichts, wo wir hätten hingehen können. Es war, als würden wir im Krankenhaus auf schlechte Nachrichten warten, oder am Telefon sitzen und befürchten, dass es läuten könnte. Während die Minuten vergingen, begann eine kleine Stimme in meinem Kopf sich zu melden. Willst du wirklich einfach nur hier rumsitzen? Du hast immer noch etwas Zeit. Zeit genug für ein Wunder. Zeit, etwas zu tun.
Es gibt nichts, was ich tun könnte , antwortete ich mir müde, aber die Stimme begann in einem nie endenden Kreislauf von vorn. Aber willst du wirklich nur hier rumsitzen? Es ist noch Zeit ... Zeit … Zeit ...
Die Uhr in der Bibliothek schlug neun. Ich erwachte aus meiner Versunkenheit. Das Heulen des Windes draußen war inzwischen lauter geworden, so laut, dass er wie ein wütendes Tier klang, das um die Schule herumstrich. Ein dumpfes Krachen war zu hören. Sarah blickte auf. »Klingt, als würden Ziegel vom Dach fallen. Dieser Sturm ist wirklich übel.«
Die Tür zur Bibliothek öffnete sich, und ein junges Mädchen kam herein, blinzelte und sah sich um. Ich erkannte sie wieder; sie war in Harriets Klasse. »Ähm … bist du Evie Johnson?«
»Ja.«
»Dann ist das hier für dich.« Sie reichte mir ein zusammengefaltetes Stück Papier und ging schnell wieder
weg. Ein mächtiger Donnerschlag ließ das Gebäude erzittern, und dann flackerten die Lichter und gingen aus. Wir konnten unterdrückte Schreie und Rufe in den Korridoren und anderen Räumen hören, als die Schule in totaler Dunkelheit versank.
»Das ist ein Stromausfall«, sagte Helen. »Wartet.« Sie kramte in ihrer Tasche herum und fand ihre kleine Taschenlampe. Sie knipste sie an. »Schon besser. Ich vermute, die Lehrerinnen werden Kerzen organisieren, bis der Strom wiederkommt.«
»Sollen wir nachsehen, ob wir den jüngeren Mädchen irgendwie helfen können?«, fragte Sarah. »Einige von ihnen könnten Angst haben.«
»Wartet, lasst mich erst diese Nachricht lesen.« Ich hielt sie in den Schein von Helens Taschenlampe und überflog die hingekritzelten Worte.
Liebe Evie,
Nach dem, was du heute Morgen gesagt hast, kann ich nicht weitermachen wie bisher. Die Stimmen in meinem Kopf werden immer schlimmer. Ich weiß nicht, wie ich damit leben soll. Erinnerst du dich daran, wie ich gesagt habe, dass ich in die Hügel hinausgehen und im Schnee einschlafen wollte, ohne je wieder aufzuwachen? Der Schnee ist jetzt weg, aber bei Agnes’ Grab ist es immer noch kalt. Ich
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