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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Warum, darum. Das Gehalt war doch kein Geheimnis. »Wir leben zwar in einfachen Verhältnissen«, meinte das Mütterchen während des Obstes, »haben aber eine gemütliche Bleibe.« Immer gab es nur Äpfel und Birnen; wenn die Leute schon so auf Kleinheit bedacht waren, hätten sie sich auch um Johannisbeeren bemühen dürfen, die Ginster mehr liebte. Die Fältchen hatten sich bei dem Wort Bleibe in ein Spinnetz verwandelt, an dem das Mütterchen fleißig fortspann. »Junge Leute …«, hauchte es leise und war spurlos verschwunden. Elfriede ließ sich auf den Diwan nieder, den lauter Kissen bedeckten. Zwei von ihnen bildeten einen dunklen Tunnel. Schelmisch winkte sie Ginster heran, der sofort ahnte, daß sie endlich abfließen wolle. Jetztsoll ich sicher verführt werden, rechnete er sich aus und setzte sich behutsam auf eine Kante. »Sind Sie geimpft worden?« fragte Elfriede. Es war ihm völlig entgangen, daß er den Arm mit dem Trauerflor in einigem Abstand vom Körper hielt. Der Flor rutschte nämlich so leicht. Sie blätterte in einer Mappe, über die sie ihn wie einen Krug neigte, um sein Gesicht dem ihren zu nähern. Die Radierungen in der Mappe stammten von ihrem früheren Freund. »Schön erzählt«, sagte Ginster zerstreut. »Mein Freund« – das Geflüster galt ihm. Er hatte das Gefühl, daß er Schadenersatz leisten müsse, hustete aus Verlegenheit und suchte sich zu entfernen. Kaum war er von der Kante los, als sich um ihn, vielleicht durch sein Husten angelockt, das Mütterchen wie eine vergitterte Bleibe erhob. »Ich möchte … noch einen Brief schreiben …« Gerade nur hingestammelt und dann nach kurzem Anlauf die Spinnfältchen zerrissen, aus denen das Gitter bestand. Draußen wurde er von den Fachwerken aufgefangen. Glatte Betonwände, die ohne die trügerischen Holzkaros auskamen, wären schon besser gewesen. Fort konnte er ja doch nicht; obwohl die Siedlungspläne inzwischen soweit fertiggestellt waren. Die Arbeiter, die dort wohnen sollten, in den Entwurf gleich mit einzuzeichnen, hätte eine gewisse Voreiligkeit bedeutet. Da sie zum Schießen dienten, fielen sie unter Umständen ganz weg. Was wurde in einem solchen Fall aus den Plänen. Ginster vertrödelte in ihrer Gesellschaft beschäftigungslos die Zeit. Der Stadtbaurat, der ihm die Arbeit zuzuteilen hatte, war nämlich wieder einmal nach Holland gereist. Auch sonst sah er ihn oft eine Woche lang nicht. »Bliebe der Schuft nur ganz aus«, sagte Wenzel eines Tages, »aber er kehrt immer unbeschädigt zurück.« Ein paar Stunden später polterte der Stadtbaurat in Ginsters Büro und fragte ihn, ob er eine schriftstellerische Arbeit übernehmen wolle.
    »Es handelt sich um ein Werk mit Abbildungen im Text. Der Wenzel ist mir zu dämlich dazu. Die Kerle hier sind in der letzten Zeit üppig geworden, wir wollen es ihnen aber schon zeigen.«
    Ein rotblondes Wallen, der Fußboden krachte. Im ersten Augenblick wähnte Ginster, daß sich die ganze Rübe selbsttätig aus der Erde höbe. Allmählich begriff er: der Stadtbaurat verlangte von ihm die Abfassung eines Monumentalbandes, in dem er die Sandsteinkästen zu verherrlichen hätte. Der Band sollte später nicht etwa unter dem Namen Ginsters, sondern unter dem des Stadtbaurats erscheinen, von dem auch die Bauten nicht herrührten. Außerdem waren sie in der Tat so klotzig, daß man sie von Grund aus zurechtlügen mußte, statt sie einfach zu beschreiben. Unsinnige Häuser zu Glanzleistungen zu stempeln; als ihren Urheber einen Mann auszugeben, der jener Häuser noch nicht einmal fähig gewesen war; durch die Darstellung selbst den Anschein zu erwecken, als erstatte der Mann in ihr einen Rechenschaftsbericht über seinen eigenen Glanz – Ginster war völlig geblendet. Seine Unterstützung sagte er weniger aus der Angst zu, im Falle der Weigerung wieder in den Krieg gestoßen zu werden, als aus Lust an einer Aufgabe, nach deren Vollendung von der Wirklichkeit nichts mehr übrig blieb. So fälschten Reden auf Festbanketten den Gefeierten um, so verfuhren die großen Staatsworte mit dem Volk, das sie nicht betrafen. Schrecklich war ihre Macht; es konnte zum Beispiel geschehen, daß der künftige Monumentalband den Tatsachen gegenüber Recht behielt, die er verkehrte. Aber vielleicht war der schwindelhafte Dunst wirklicher als die meisten Menschen, über die erverbreitet wurde. Jedenfalls ließ sich vorstellen, daß das Dasein eines Jubilars erst durch die an ihn gerichteten Glückwunschbriefe

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