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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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wirklich Herrn Valentin aufzusuchen. Man konnte nicht wissen, für später. Die Zeichentische im Büro waren abgemagerte Gerüste, denen das Futter fehlte. Herr Valentin, der aus dem Hinterzimmer ankroch, schnaufte in einem fort, eine Kleinbahnlokomotive, die mit dem Schornstein nach rückwärts einen langen Zug treiben soll. Solche umständlichen Lokomotiven wurden im Krieg häufig verwandt. Sie bliesen Ruß hervor und kämpften gegen den Wind. Zu ziehen hatte Herr Valentin freilich nichts.
    »Der Ehrenfriedhof ist noch in den Kommissionen begraben«, brummte er zwischen den Tischen. Er war etwas aufgebläht, weil er sich als Mitglied anderer Kommissionen für den Geschäftsgang verantwortlich fühlte, auch wenn er selbst unter ihm litt.
    »Vielleicht haben wir ihn doch zu klein entworfen –«. Ginster meinte den Ehrenfriedhof. Von den benachbarten Tischreihen eingeklemmt, saß er Herr Valentin gegenüber.
    »Ich beglückwünsche Sie …« Berta war eingetreten, sie hatte ein Schleifchen von der gleichen Farbe wie das Pedros im Haar. »Die Beerdigung soll großartig gewesen sein, meine Gratulation, der Tod hat in Sterbefällen so etwas Festliches an sich, müssen Sie wissen. Sie werden das später verstehen, man wird nämlich immer jünger, wenn man sich vorsätzlich über den Alltag erhebt. In Wirklichkeit ist zum Klagen gar kein Grund, denn die armen Menschen bilden sich ja den Krieg nur ein, wie mir eine bedeutende Persönlichkeit …«
    »Laß doch, Berta.«
    Am Abend ging Ginster unter dem Vorwand, Luft zu schöpfen, noch in die Stadt. Er hatte sich heimlich mit Hay im Café verabredet, an der Luft lag ihm nichts. Ein bißchen stolz war er doch auf den neuen Trauerflor.
    »Eigentlich hätte ich zu Hause bleiben sollen«, sagte er, als die Musik anfing. Leider beschwichtigte Hay nicht,wie er gehofft hatte, sein schlechtes Gewissen, sondern beugte sich zum Potpourri vor.
    »Der Geiger ist miserabel.« Er glotzte den Bogenstrichen nach. »Was ich sagen wollte – meine Pflanzenarbeit wird jetzt gedruckt.«
    Nicht abzulenken, ein störriger Gaul. Den Anzug trug er mindestens schon ins vierte Jahr. Man müßte ihm ein Strohhütchen aufsetzen, dachte Ginster und erinnerte sich der eigenen Pflanzen.
    »Ich habe inzwischen Bienensaug und Tausendschön kennen gelernt. Auch mich selbst. Alles im Frühling.«
    Hay blickte strafend: »Ist dir bekannt, daß dein Onkel ein großes wissenschaftliches Ansehen genoß? Seine Arbeit ist ein Quellenwerk und wird in Gelehrtenkreisen mit Spannung erwartet … Heute hat sich jeder zu spezialisieren.«
    »Ich weiß«, erwiderte Ginster kleinlaut. Nach einer halben Stunde erhob sich Hay. Ganz unvermittelt; den Rock hinten herunter gezupft. Der Trauerflor behagte ihm nicht.
    In Q. fand Ginster zwei Briefchen von Elfriede im Stadtbauamt vor. Nach seiner Wohnung schrieb sie ihm nie. Als er sie nachmittags im Buchladen besuchte, spürte er sofort, daß sie während seiner Abwesenheit immer mit ihm zusammengelebt hatte. Wären noch mehr Angehörige gestorben, sie hätte ihm die gesamte Familie ersetzt. Ein einziger Trost; wie ein Fleck, der sich ausbreitete. Offenbar sollte er ihr auch etwas ersetzen, denn sie lud ihn für morgen zum Abendessen ein. Die Schaufenster waren übrigens so mit Feldblumensträußen überhäuft, daß der Laden einem Blumengeschäft glich, das ein paar Bücher schmückten. Am nächsten Abend wunderte sichGinster über die Geräumigkeit von Elfriedens Zimmer, freilich stieß der Kopf unmittelbar gegen die Decke. »Gleich kommt das Mütterchen«, sagte Elfriede, die in ihrem grünen Gewand den Eindruck erweckte, als werde sie fortwährend ausgeschüttet, ohne je abzufließen. Das Mütterchen war ein Kunstdruckblatt: zahllose Häkchen und Fältchen im Gesicht, deren jedes seinen eigenen Schlagschatten warf. Alles liebevoll ausgepinselt, weil es sich um ein Mütterchen handelte. Ginster begriff nicht, wie es möglich war, daß solche Einzelheiten angebracht werden konnten und die Backen doch noch zusammenhielten. Alte Dame, hätte er gern gesagt. Bei Tisch erkundigte sie sich nach seiner Tätigkeit, über die er sie genau unterrichtete; sogar sein Einkommen teilte er ihr gleich mit. »Mein Mann war auch bei der Stadt«, seufzte sie und bestrahlte Ginster und Elfriede mit einer Innigkeit, daß beide verschmolzen. Sämtliche Fältchen schimmerten. Nachträglich fiel Ginster ein, daß Hay ihm öfters vorgehalten hatte, man verrate den Leuten nicht, wieviel man verdiene.

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