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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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Türfüllungen hatten Risse. Hauptsächlich rochen die Gemüse, brave, fleißige Gemüse, wie sie den erwerbstätigen Mittelstand nähren. Ein blondes Mädchen namens Anna bereitete sie zu; Anna wenigstens wurde es von Frau Valentin gerufen, die zu jeder Tageszeit, vor und während der Gerüche, das Büro aufsuchte, das zur Wohnung gehörte und darum unter ihrer Obhut stand mit seinen Tapeten. Gleich in den ersten Tagen nach Ginsters Eintritt machte sie sich in aller Frühe am Öfchen zu schaffen, geheizt mußte noch gar nicht werden. Zu ihrem Unglück war Herr Valentin zugegen, der sie an der Entfaltung behinderte. Er hatte das Büro eingerichtet, nun war es ein Büro. Wäre es kalt gewesen, so hätte er heizen lassen, nicht für sich, sondern aus Anstand. Durch ihre überflüssige Tätigkeit gestört, verkürzte er sich, ein Taschenoperngucker, der zusammengeschraubt wurde, brummte: »Berta, laß den Unsinn«, und scheuchte sie fort. Ginster hatte geglaubt, daß sie Minna hieße. Kaum war Herr Valentin aus dem Haus, erschien sie wieder, ging durchs Büro wie eine Nachtwandlerin, ein Buch in der Hand, in einem Strickjäckchen, ohne Ginster anzusehen, sagte zum Öfchen hin etwas vom Telefon, ganz leer, verschwand auf dem Flur, die Tür hinter sich offen lassend, rief Anna und schloß dann erst die Tür. Pause. Ginster entwarf den Schwung einer Ladengalerie, der so doch nicht ausgeführt wurde. Berta kam zum drittenmal. Der Schwung wurde wegradiert.
    »Haben Sie vorhin das Buch in meiner Hand bemerkt?« fragte sie. Ihr Blick war verworren, angestrengt drang er ins Nichts.
    »Das Buch handelt von Buddha«, fuhr sie fort, »kennen Sie den Buddhismus, er lehrt: Alles in einem, ich befasse mich eben damit.«
    Sie zog eine Brille hervor und setzte sie auf. Ihre Formen waren stattlich, wie in Korsettgeschäften, Männergeschmack, normalisiert. Die Brille bestand aus Fensterglas. Zu antworten brauchte man nicht.
    »Eigentlich halte ich nicht viel von den Büchern. Man muß alles in sich haben. Wissen Sie, daß ich glücklich bin über den Krieg. Ja, nun starren Sie mich an. Glücklich. Was haben denn die Menschen im Frieden gemacht? Der Krieg rüttelt sie auf, ich glaube an das Gute im Menschen. Freilich habe ich auch eine besondere Gabe, es zu wecken. Ich arbeite täglich in einer Wohltätigkeitsorganisation, man kann immer etwas tun. Es sind prächtige Menschen darunter, und alle wollen sie helfen. Der Oberbürgermeister gehört zu meinen näheren Freunden …«
    Ein Strahlen ging von ihr aus, ganz blau. Die Schlüssel klapperten, während sie sich setzte, mit aufgestützten Ellenbogen und Runzeln vor Ernst.
    »Wissen Sie, ich kenne Sie ganz genau, ich durchschaue die Menschen. Manche haben sich schon darüber gewundert, aber es ist sehr einfach, wenn man den nötigen Blick besitzt. – Sie haben etwas, wie soll ich sagen, etwas Gravierendes in Ihrem Wesen, das ist das richtige Wort.« Ginster fragte, was sie unter gravierend verstehe. Zum Fortgehen gerüstet, schüttelte sie den Kopf und sah mitleidig auf ihn herab. »Sie wissen schon, was ich meine.« Draußen rief sie nach Anna. Anna schien nicht vorhanden zu sein. Sie schrie den Namen durchs Treppenhaus, Ginster erschrak. Nach einer halben Stunde öffnete sich die Tür – wieder Berta, zum viertenmal. Sie schritt stumm aufs Telefon zu und schaltete um. Der Apparat hatte eine Nebenstelle, vielleicht im verschlossenen Zimmer. Von dort aus wollte sie telefonieren, an den Oberbürgermeister; sie strahlte verdächtig. Ginster kam für sie nicht mehr in Betracht, ein bezahlter Angestellter, gravierend. »Wenn ich fertig bin, stellen Sie wieder um«, sagte sie,ohne den Kopf zu wenden, schon halb auf dem Flur. Da Schwünge keinen Zweck hatten, zog Ginster die Galerie jetzt mit Reißschiene und Winkel, scharf geknickt, praktisch. Als er mittags das Haus verließ, weinte Anna am Herd.
    Die Tante hatte ihre Sonntagnachmittag-Tees vom Frieden her beibehalten. Wer kommen wollte, kam, zwanglos, je mehr Leute, desto besser. Meistens erschienen dieselben Leute. Sie mußten sich gesellig benehmen, abwechselnd trinken und reden, nicht zu lang über das gleiche Thema, weil es sonst ermüdete, die Tante liebte die Geselligkeit, nur dozierte leider der Onkel zu viel. Um die Gäste zum Reden zu bringen, sprach sie gewöhnlich selbst. Ihr Ideal waren Unterhaltungen, die von einem Gegenstand zum andern sprangen, auf und ab, ein Salon mit Stimmengewirr ohne Pause. Wenn Ginster sich in ein

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