Ginster (German Edition)
sondern auf Wissen gegründet. Er hatte die Entscheidungsschlacht von einem Gewährsmann erfahren, dessen Namen in Anbetracht der Umstände verschwiegen werden mußte. Immer zog er sich auf Umstände zurück. Ginster suchte ihn auf Gebiete zu locken, die fern von der Botanik lagen, aber überall hatte er seine Informationen. Man sprach von Musik: er ging in alle Konzerte. Nächstens werde d’Albert in F. spielen, es sei ihm aus zuverlässiger Quelle bekannt. Die Mutter, die nur selten Konzerte besuchte, hatte sich früher für d’Albert ein Vierteljahr vorher Karten genommen – eine stumme Zuneigung, die angeflogen war wie die Glut in ihrem Gesicht und allein durch die zeitige Kartenbestellung sich auszudrücken vermochte. Jetzt wollte sie d’Albert nicht mehr hören, die Zuneigung war durch den Krieg ausgelöscht, und ein plötzlich aufgestiegenes Rot wehrte sich gegen jede Musik zwischen zwei Tagesberichten. Hay sah nicht ein, was sie zu dem Wechsel berechtige; einmal d’Albert, immer d’Albert, das neue Verhalten verstieß wider die Logik. Ersagte Hm, brachte einen anderen Fall überraschender Sinnesänderung vor und brütete vor sich hin. Ginster hätte ihn gern gekitzelt. Als er aus dem Brüten erwachte, erläuterte er die Heilwirkung der Hypnose auf Kriegsverletzte mit gewissen seelischen Schäden. Dann beschrieb er, von der Tante gedrängt, die Technik des Hypnotisierens: man lasse den Patienten auf einen glänzenden Gegenstand blicken und rufe Müdigkeitsvorstellungen in ihm hervor. Da die Tante, um alles aus ihm herauszuholen, ihn fortwährend unterbrach, gedieh die Schilderung nicht zu der Vollständigkeit, die er ihr zugedacht hatte; aber schließlich handelte es sich nur um ein Laienpublikum. Den Wunsch Ginsters, auch einmal hypnotisieren zu wollen, wies er als unberechtigt zurück: leichtfertiges Dilettantentum, lediglich Fachkreise ermächtigt. Ginster fühlte sich Hay gegenüber wie eine junge Frau, die ihren eingetrockneten Gatten durch Unsachlichkeit reizt. Der Onkel stellte sichtbar seine Taschenuhr; er erklärte doch lieber selbst und wollte in sein Jahrhundert. Hay ging mit der Versicherung, daß der Sohn von Frau Biehl in einem schottischen Kriegsgefangenenlager untergebracht sei. Die Taschenuhr kränkte ihn nicht. Am nächsten Sonntag versprach er wieder zu kommen. Blieb noch Frau Biehl, die Angst vor zu Hause hatte; die vielen Präpositionen. Auf dem Korridor schwatzte die Tante mit ihr, bei geöffneter Tür, eine Aussprache, es war schon Zeit zum Abendessen, sie schwatzte, der Onkel kam geräuschvoll vorbei.
»Mein Mann liebt die langen Abschiede nicht«, sagte die Tante, »Sie kennen ihn ja. Wahrscheinlich befürchtet er schon, daß ich Sie zum Abendessen auffordern werde. Er hat Sie doch gewiß herzlich gern, und Sie ahnen gar nicht, welche Eroberung Sie an ihm gemacht haben, seit er Ihnen erklärt …«
Frau Biehl strahlte.
»Das mit der Hypnose war sehr interessant«, fuhr die Tante fort, »im übrigen ist es zu drollig, wie bestimmt Dr. Hay seine Behauptungen aufstellt … Was ich noch sagen wollte, ja, mit dem Abendessen, mein Mann hat seine Eigenheiten. Habe ich Ihnen einmal die Geschichte von der Gans erzählt?«
Frau Biehl bejahte.
»Es ist ja auch bereits zu spät, um sie zu erzählen. Aber, wenn ich zurückdenke, wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr genau, lieber Gott, unser guter Freund Falk ist lange tot. Eines Nachmittags war er bei uns zum Tee und harrte aus bis zuletzt. Ich konnte nicht umhin, ihn zum Abendessen zu bitten. Es gab Gans, kalte Gans, vom Mittag her. Sie wissen, Gans ist das Lieblingsgericht meines Mannes, besonders kalt, wegen der Haut. Auch Falk liebte, gut zu speisen, er aß mit solchem Genuß. Mein Mann warf mir wütende Blicke zu, weil ich Falk zum Bleiben genötigt hatte, saß verdrießlich bei Tisch und machte mir später eine Szene – niemals in unserer Ehe hat er mir eine derartige Szene gemacht. ›Die Gans ist meine Gans‹, schrie er mich an, ›und wie konntest du nur Falk …‹ – ›Er ist doch dein bester Freund‹, sagte ich, ›mißgönnst du ihm denn das bißchen Gans …‹ – ›Ich werde ihm morgen eine Gans schicken, du kannst sie ihm auf meine Rechnung besorgen. Aber meine Gans gönne ich ihm nicht.‹ Dabei blieb er. Anderen Tages schickte ich Falk eine besondere Gans.«
Die Mutter lachte, sie verschluckte sich im Lachen, und lachte dann weiter. Eigentlich wollte sie nicht lachen, weil Krieg war, aber bestimmten
Weitere Kostenlose Bücher