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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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historischen Krieg genau zu erforschen. »Die Generalstabsoffiziere sind gebildet und höflich, und die von ihnen benutzten Tische und Tintenfässer könnten nicht einfacher sein.« Der historische Krieg selbst war durch Bestechung höherer Kommandostellen verlorengegangen. Auch der Bankier, der in seinen Mußestunden Strategie betrieb, zeigte sich mit der Truppenverteilung einverstanden, bekämpfte indessen die politische Führung. »Man sollte unseren Bundesgenossen einen Fußtritt geben«, erklärte er, »statt ihnen sentimental die Treue zu halten.« Sein Leib schwoll an wie ein Ballon, der sich zum Aufstieg bereitete. »Aber diese Treue ist doch geschichtlich begründet«, erwiderte der Onkel. Dem Bankier lag nichts an geschichtlichen Begründungen, bei aller Verehrung für das Geschichtswerk des Onkels; die Politik ist ein Geschäft, wo finde ich meinen persönlichen Vorteil. »Ich meine eigentlich auch«, warf Frau Luckenbach ein, mit einem ängstlichen Blick auf ihren Mann, wie hypnotisiert. Zu widersprechen wagte sie nicht. Ginster bedauerte die Frau wegen des Leibs, der dem Bankier zum Schaden seiner Kunden den Schein der Gutmütigkeit verlieh. Es war ein blühender Despot, der Leib, den sie anbeten mußte. Trotz der Einwände gegen die Bundesgenossen konnte der Onkel sich nicht entschließen, ihnen den Laufpaß zu geben; sie waren zu lange Bundesgenossen gewesen. Die Tante schürte den Streit, innerlich stand sie hier, äußerlich dort, so war es ihr lieb, ein anregender Tee. »Ganz recht«, sagte die Mutter dazwischen. Luckenbach wölbte sich gescheit, ein Mann der Praxis, der Völkern Tritte versetzte. Mitten im Lärm erschien Dr. Hay. »Erzählen Sie doch …« Ginster dachte an Otto. Sie sprachen wieder von den militärischen Operationen, an denen sich der Bankier entzückte. Er gestand, die Photographien der beiden Heerführer in seinem Arbeitszimmereingerahmt hängen zu haben. »Auf unsere Heerführer ist noch Verlaß.« Was nutzten die gescheiten Fußtritte, wenn ihn der Krieg technisch erfreute. In strategischer Hinsicht stimmten er und der Onkel völlig überein, eine Harmonie, die Tante bat zuzugreifen. Dr. Hay, der öfters zum Tee kam, kannte den Bankier nicht und verhielt sich neugierig still. Er war eine Klasse unter Ginster gewesen. »Du wolltest doch früher aufbrechen«, wandte sich Frau Luckenbach an ihren Mann, »wir können aber auch gerne noch bleiben.« Ihre Stimme zitterte; vielleicht gab es noch eine dritte Möglichkeit, die sie hätte erraten müssen. Er erhob sich, der Leib hing ihm über die Schenkel. Nach seinem Weggang gab die Tante Auskunft über ihn, um Dr. Hay zu befriedigen, der unruhig schnupperte. Luckenbach hielt sich in dem Hof seiner Villa hinter starken Drahtgeflechten zwei riesige Hunde, die er zum Zeitvertreib abends dressierte. Seine Frau war der dritte; vollendete Dressur, gehorchte aufs Wort. Sie hatten aus Liebe geheiratet, nachdem er verbraucht war und sie zu faul geworden, um einen andern zu suchen. Immer noch liebten sie sich. Je mehr er sie mißhandelte, desto inniger wurden die Gefühle bei beiden. Sein Leib bedurfte der Bewegung, und was sie betraf, so war sie hinter dem Drahtgeflecht der Sorge um schwierige Entscheidungen ledig. »Für eine Diplomatenfrau bist du nicht geeignet«, sagte der Onkel. Er mochte das Gerede der Tante über die Besucher nicht leiden.
    Hay war durch die Erklärungen zufriedengestellt. Seine Wißbegier kannte keine Grenzen, dafür wußte er aber auch alles. Er hatte Botanik studiert, Wetterströmungen, Menschenrassen, was es nur gab. In jedem südafrikanischen Urwäldchen war er besser zu Hause als in der Altstadt von F. Seit Jahren lag er privaten Forschungenob, über die er sich nur in Andeutungen erging. Die Forschungen mußten geheimgehalten werden, sonst nahm sie ein anderer weg. Vielleicht veröffentlichte er sie später einmal. Zum Militär war er einer wichtigen Krankheit wegen nicht eingezogen worden, die sich genau nachweisen ließ. Alles hatte bei ihm seine Richtigkeit, die Anzüge blieben jahrelang in Form. Ginster trug seine Anzüge schlecht, darum wurde ihm Hay von der Mutter immer wieder als Vorbild hingestellt. Man hängt die Anzüge abends stets über den Bügel. Vermutlich hing Hay selbst über dem Bügel, er war sicher wie eine gutsitzende Hose. »In zwei Monaten wird die Entscheidungsschlacht im Westen geschlagen«, behauptete er. Seine Behauptungen waren trotz ihrer Unfehlbarkeit nicht prophetisch gemeint,

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