Ginster (German Edition)
einzuverleiben, rauchte Ginster lieber seine Stumpen, die in dem Holzkistchen wie in einem Geheimtresor ruhten. Morgens schon, während der Frühstücksminuten, zog er sich mit ihnen nüchtern auf eine seltener benutzte Nebentreppe zurück. An sie schloß sich der Seitentrakt, der die Unteroffiziersstuben und wahrscheinlich noch eine Treppe enthielt. Wie das Gebäude mit den Treppen, so wechselte Ginster mit den Rauchwaren ab. Außer den Stumpen, die den Hauptstufen entsprachen, verwandte er elsässische Zigaretten, kleine, billige Dinger, deren Robustheit an die von Möbelträgern gemahnte. Er rauchte sie auch auf dem Kasernenhof in der Latrine. Man mußte auf der Hut sein, denn der Unteroffizier roch manchmal in die Münder und musterte die Fingerspitzen, ob sie vom Nikotin nicht gelb angelaufen waren. Seiner schmutzigen Nägel wegen hatte Morck einen Verweis erhalten. Obwohl Ahrend sich um die militärischen Vorgänge kaum bekümmerte, fiel er nicht auf. Unbemerkt saß er auf dem Bett und verzehrte etwas, das er einem Döschen entnahm. Ein Schutzengel hütete ihn. Am Spätnachmittag des dritten Tages – gerade war die Mannschaft vom Dienst zurückgekehrt – wurde Achtung gerufen, und der Schutzengel fuhr unter die Drillichjacken nieder. Die Leute flüsterten sich zu, daß er den Rang eines Oberleutnants bekleide. Der Bruder, was. Unteroffizier Wernecke meldete ihm, daß sich hier Leute befänden. Alle Fenster strahlten bunter, und der Raum war nicht mehr verlassen. Betäubt starrte Ginster auf die Erscheinung, die eine so wunderbare Beleuchtung verbreitete, als sei sie ganz ohne Familie. Ahrend entschwand mit ihr durch die weit geöffnete Tür. Dem Verhalten der Vorgesetzten nach zu schließen, schien ein Stück Glanz an ihm hängen geblieben zu sein. Wie er so oft aus dem Döschen schlecken und dabei doch seine Sachen instand halten konnte, begriff Ginster nicht. »Der Schalupp reinigt das Zeug«, erklärte ihm einer. Unverzüglich wandte auch er sich an Schalupp. »Bring’ deinen Krempel nur selbst in die Reihe«, erwiderte der und überhörte die nachträglichzugesagte Entschädigung. Wahrscheinlich hatte Ginster durch seinen zaghaften Ton Schalupps Mißtrauen erweckt oder das Angebot zu öffentlich vorgebracht. Es bedurfte einer gewissen Begabung, um sich die Sachen reinigen zu lassen.
Den ersten Sonntag über sollte niemand ins Freie. Die Leute hätten auch auf der Straße zu unanständig gewirkt, da die halbfertigen Grüße ihre Blöße noch nicht völlig bedeckten. Im Berner Hof reichte die mangelhafte Bekleidung allenfalls hin. Nach dem Essen saßen viele um den langen Tisch im Mittelgang. Ginster zog sich in den Raum zwischen seiner und der benachbarten Bettreihe zurück, von dem ihm ein Viertel gehörte. Der Raum war ein oberirdischer Schacht, der wenigstens die Sonne draußen nicht durchließ. Von dem Mittelgang zweigten sich zahlreiche solcher Schächte nach beiden Seiten regelmäßig ab. Ihre Numerierung wäre nützlich gewesen, denn Ginster bog häufig zu früh ein und mußte dann immer die Betten nachzählen, um seinen Zwischenraum zu finden. Gerne hätte er einmal von der Saaldecke aus die ganze Einteilung überprüft. Im Augenblick beschäftigte er sich damit, den Inhalt des Kistchens neu zu ordnen. Alles ausgepackt und wieder hinein. Die Sachen hatten die Gewohnheit, ihre Lage von selbst zu ändern, und verlangten überhaupt fortwährend Bedienung. Gegen drei Uhr kamen Tante und Mutter, die sich durch eine Karte angekündigt hatten, in Mantel und Hut drangen sie vor, wie auf einer Expedition, beide ausgerüstet nebeneinander. Sie stießen einen Schrei aus, als sie Ginster entdeckten. Nein, so etwas, also hier oben, warum nicht bessere Sachen, gleich nachher ausführlich. Er holte sie in sein Schachtloch und besorgte zwei Stühle. »Den Hut behalten wir lieber auf«,meinte die Tante zur Mutter. Es verstimmte Ginster ein wenig, daß sie die Mäntel aufs Deckbett legten, ohne die Kanten zu schonen. Die Mutter hatte eine verschnürte Pappschachtel mitgebracht, erlaubte ihm aber nicht, das Messer zu benutzen, sondern knotete die Schnur selbst auf. Man kann die Schnur später noch verwenden. Sie war aus Papiersträhnen gedreht, die sich leicht aufrollen und zerreiben ließen. In der Schachtel lag eine flache runde Torte, ganz braun ohne Guß. »Nach einem neuen Rezept«, sagte die Mutter, »den nötigen Zucker haben wir zufällig bekommen.« Ginster hob die Torte aus der Hülle, um ihr Gewicht
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