Ginster (German Edition)
Handstellungen sich später abschliffen, war es zwecklos, sie zu erlernen. Freilich begriff er durchaus, daß nicht jeder Beliebige so willkürlich grüßen konnte, sondern der Erwerb gründlicher Kenntnisse vorausgegangen sein mußte, um die Freiheiten zu ermöglichen. Dennoch hätten sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen. Jede Flüchtigkeit schädigte das Aussehen des Krieges, für den die Grüße erdacht waren, und allzuoft hatte Ginster gehört, daß es auf die geringfügigste Handlung ankomme, wenn das Ganze gedeihen solle. Einmal wurde er beauftragt, eines der großen Fenster zu säubern. »Womit?« fragte er Schalupp, der neben einem Eimer auf dem Boden lag. »Hole dir einen Fensterlappen und nimm hinten die Leiter.« Der Lappen war so schmutzig, daß Ginster sich nicht vorzustellen vermochte, wie mit seiner Hilfe das Glas wieder durchsichtig gemacht werden könne. Die Leiter schwankte zwar ein wenig, aber es war doch schön, so allein über allen Leuten. Oben setzte sich Ginster hin und schloß die Augen; wie auf einem Hochgebirgsgipfel zwischen den Wolken. Dann rieb er, noch benommen von der veränderten Luft, die Scheiben ab, der Lappen war brüchig und schmiegte sich den Flächen schlecht an, hätte ihm Schalupp doch den seinen gegeben. Je fester er rieb, desto trüber wurde das Glas, und dabei rieb er in seiner Erregung längst nicht mehr mit dem Lappen allein, sondern wetzte den ganzen Körper am Fenster; die Leiter schaukelte nach, er hörte nicht auf ihr Stöhnen. Nach und nach entstand zu seinem Entsetzen ein undurchdringlicher Schmierbrei, der ihn freilich zugleich mit einem gewissen Triumph erfüllte, da das Geschmier dem sofort durchschauten Lappen entsprach. Gerade wollte Ginster die Arbeit einstellen, als er bemerkte, daß sich je nach der Art des Wischens verschiedene Muster hervorrufen ließen. Rührte er etwa den Brei kreisförmig um, so bildeten sich Schnecken. Vielleicht gelang es, durch Ausnutzung der Falten im Lappen künstliche Frostblumen zu erzeugen. »Herunterkommen!« schrie es zu ihm hinauf. Verwirrt nahm er Sprosse um Sprosse, die ganze Korporalschaft hatte sich am Fuß der Leiter angesammelt und lachte über ihn. »Sie sind zu nichts zu verwenden«, befahl Knötchen und schickte mit demselben Lappen einen anderen Kanonier nach oben, der unverzüglich die leicht gelbe Außenwelt wiederherstellte, Ginster wußte nicht wie. Der Verlauf der folgenden Putzstunde bewies, daß Knötchen es gar nicht so bös gemeint hatte. Die Mannschaft reinigte unter seiner Aufsicht die Karabiner, die mit besonderen Fetten eingesalbt werden mußten. Ob es nun geschah, weil Ginster zufällig nebenihm saß, oder gar aus einer Zuneigung für ihn, jedenfalls begann Knötchen ihm von sich zu erzählen.
»Wenn Sie nur wüßten … Vor einem halben Jahr habe ich noch in der Etappe im Gefängnis gesessen.«
Die andern hörten nicht hin.
»Sind Sie lang an der Front gewesen?« fragte Ginster. Er hätte gern mehr über das Gefängnis erfahren, aber aus Taktgründen mußte man vorsichtig sein.
»Ich bin von einem Gütchen in der Nähe, das meine Mutter bewirtschaftet. Seit meiner Rückkehr habe ich erst einmal Urlaub gehabt. Wenn der Krieg zu Ende ist …«
Das Grau war zerrissen. »Ist es so recht?« fragte einer und zeigte ein Stück Metall. Knötchen sah wieder eintönig aus, eine schmächtige Figur, möglicherweise mit verborgenen Muskeln, nicht zu bestimmen. »Die Läufe her«, ordnete er an und blickte durch die Flinten hindurch gegen das Licht. Der Lauf Ginsters wurde nicht nur ausdrücklich von ihm anerkannt, sondern sogar einem anderen Lauf vorgezogen. »Es ist nicht so schwer, wie ich mir gedacht hatte«, meinte Ginster. Im Übermut machte er eine abfällige Bemerkung über den Vizefeldwebel Leuthold; müsse auch ausgefegt werden wie ein Karabiner. Die Leute lachten. »Er ist ein ganz patenter Kerl«, sagte ein Mann über Ginster zu Schalupp. Morck unterließ sein Ho. Ginster fühlte sich behaglich und hätte mit niemandem tauschen mögen. Die netten Menschen, so unbekümmert, wirkliche Kameraden. Wie froh er war, daß sie ihn als gleichberechtigt aufgenommen hatten, tief unten bei sich, er war abgelöst und doch nicht allein, Ahrend verblaßte, wie gut das Licht und der Abend. Sorglos schlief er ein. »Aufstehen!« Schon die Art, in der geweckt wurde, vertrieb die Behaglichkeit des vorigen Abends.Der Unteroffizier schrie das Aufstehen ohne Rücksicht auf die Schläfer durch den Saal; wo doch
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