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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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abzuschätzen; ein schweres einheitlich gearbeitetes Stück, das keine Hohlräume zu besitzen schien und ihm die Aussicht versperrte. Inwendig war die Masse grau.
    »Recht gut«, versicherte die Tante sich selbst, »wirklich erträglich. Das Rezept müssen wir uns merken. Wenn ich an das Mehl von früher denke …« »Wieso?« unterbrach Ginster.
    »Erinnerst du dich nicht mehr? Blütenweiß war das Mehl.«
    »Wir wollen ins Licht«, sagte die Mutter, »hier ist es so ungemütlich.«
    An einem freien Fensterplatz wurde Ginster wie eine Modellpuppe besichtigt. Unter den geübten Blicken begann er sich unaufgefordert zu wenden, auf sein Gesicht kam es nicht an. Tante und Mutter stimmten darin überein, daß er sich zum mindesten eine Schirmmütze kaufen solle, randlos sei er unmöglich. »Ich kaufe mir nichts«, sagte Ginster, »das Militär hat mich im Krätzchen hergestellt, und jetzt bleibe ich so.« Doch kaufen, nichts kaufen, beide Damen erzürnt, Ginster unleidlich. Inzwischen waren noch mehr Angehörige eingetroffen, lauter Grüppchenmit Pappschachteln und je einem Soldaten im Mittelgang und hinter den Betten. Trotz der räumlichen Nähe klangen die fremden Gespräche gedämpft, als sei jede Gruppe unter einer eigenen Glasglocke geborgen, durch die man die andern nur sah wie in einem Krankensaal dritter Klasse. Wie zart sie sind, dachte Ginster, sie ziehen sich zusammen, um sich nicht gegenseitig zu stören. Das Mütterchen mit dem schrägen Kopf, der Junge mit dem Seitengewehr, das in seinen Händen zum Holzdegen wurde: die Figuren waren inmitten der Pfosten und Tische aufgestellt und spielten bei herabgelassenem Vorhang für sich. Morcks Mädchen glich einem von ihm selbst geschmetterten Ho. Allein geblieben war nur Schalupp; er vergnügte sich mit einem Ding, das immer wieder zurückschnellte, wenn er es krumm gebogen hatte. Mutter und Tante verlangten nach Tee, vielleicht unten im Saal, ja unten, sollen die Mäntel gleich mitgenommen werden, nein, überflüssig, kommen oben nicht fort. Nachmittags hatte Ginster das Erdgeschoß noch nicht aufgesucht. Der Saal war mürrisch, als sei er zu früh geweckt worden und nun über die unbesetzten Stühle enttäuscht. Ihre Lehnen liefen zu einer Fläche zusammen, aus der am jenseitigen Ufer Göbel bis zu den Hüften hervorwuchs, ein schmaler halbierter Göbel zwischen einem Damenrücken und einem Überzieher, die er vergeblich zu trennen suchte. Der Tee kaum genießbar, aber der Kaffee wäre vermutlich noch schlechter gewesen.
    »Der Onkel ist doch alt geworden«, sagte die Tante, »vorgestern hat er wieder seine Zettel verlegt. Ich glaube fast, daß ihm die Arbeit keine Befriedigung mehr gewährt, er kommt auch nur mühsam voran.«
    »Wo hält er denn?« fragte Ginster. Mühsam voran wie beim Marschieren hatte er sagen wollen. Das Zuhause,das schon weit entfernt schien, näherte sich schnell. Schalupps Ding.
    »Immer noch an der Revolution.«
    »Sie hat auch lange genug gedauert.«
    Die Mutter bestellte Grüße von Hay. »Weißt du eigentlich, daß der Mann von Frau Biehl kränkelt?« Er wußte es nicht, was lag ihm an Hay. Auf dem Podium erhob sich, in Tücher eingewickelt, ein unförmiger Gegenstand; das Cello, seine Umrisse waren nur zu erraten. Abends wurde es wie ein Denkmal festlich enthüllt und dröhnte vor aller Augen. Auch er hätte gern enthüllt werden mögen. Jetzt warfen sie wieder ihr Netz nach ihm aus, um ihn im Hundewagen heim zu bringen, aber zum Glück konnten sie ihn bei den Soldaten nicht fangen.
    »Der Krieg macht die alten Leute alt«, sagte er. Das Militär, fiel ihm ein, hatte ihn nur in einen neuen Umschlag gesteckt.
    »Erzähle nun endlich von dir«, mahnte die Tante, »ich bin zu neugierig, wie sind die Vorgesetzten, was habt ihr zu tun? Die letzten Tagesberichte waren sehr flau. Direktor Luckenbach meinte, daß wir zu wenig Unterseeboote hätten, ich bin verzweifelt …«
    »Du läßt ihn ja nicht zu Wort kommen«, sagte etwas gerötet die Mutter.
    Ginster wies ihnen seine Grüße vor, der eine ging noch nicht recht. Durch den Bericht über Ahrend wurden sie munter gestimmt, wenigstens taten sie munter. Schade, daß Ginster Ahrends Herkunft nicht kannte, sie wollten ihn unbedingt sehen. Niemand konnte angeben, wo er sich aufhielt, auch Göbel nicht; wie eine Droge verschluckt. Ein Rundbogenfenster war geöffnet. »Das richtige Frühlingswetter«, meinte die Tante. Im Garten ging der Vizefeldwebel mit einer Frau unter den Ästenauf und ab.

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