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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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statt die Vorgesetzten lautlos zu bannen. So genaue Vorschriften waren in den alten Zauberbüchern gemacht, um den Schatz zu heben oder ein Kräutchen zu finden. Verwunderlich, daß neben den Paketen nicht auch der Mondschein eine Rolle spielte. War das Paket, das ein Kanonier mit sich führte, kleiner als ein Kommißbrot geraten, so hatte die Hand an die Mütze zu fahren, als sei das Paket nicht vorhanden. Es wurde einfach verleugnet. Übertraf es das Kommißbrot an Größe, so blieb auch der freie Arm unten. Auf den Inhalt der Pakete kam es nicht an. Die Kommißbrote. Wäre nicht Krieg gewesen, sie hätten möglicherweise wie die Metermaße in Paris geeicht werden müssen. Wie verhielt sich der Kanonier, wenn er das Kommißbrot selber trug. Jetzt erst verstand Ginster die Bewegungen, die seinerzeit mit Otto bei ihrem Spaziergang ausgeführt worden waren. Kommt aber nur einmal herein. Begrüßt die heilige Kapelle! Das Gedichtchen hatte doch recht. Wenn man sich mitten in der Grußkapelle befand, wirkten die Grüße farbig. Daß sie des Zweckes entrieten, störte nicht weiter, auch die Buntheit der Glasfenster war nutzlos. Gerne hätte Ginster noch die Grußart beigefügt, die er im Gespräch mit Ehlers damals vermißt hatte. Aber Knötchen und der Unteroffizier verbesserten ihn schon ohnedies unaufhörlich bei den bisher bekannten Grüßen. Die rechten Winkel wieder innezuhalten, der Handrücken wagrecht ausgehöhlt über den Augenlöchern. Zwei Vorgesetzte zugleich versuchten sich mitunter an dem Handrücken, um ihn in die gewünschte Lage zu bringen. War er aus Zufall eingerichtet, dann verrutschte der Kopf. Ginster erinnerte sich der Tanzstunde, in der er dieselben Anstrengungen gekostet hatte; nur waren dort die Füße schuld gewesen. Nach ein paar Übungen wurde das Marschieren mit den Grüßen verbunden und der ganze Zusammenhang von einem Offizier inspiziert. Die Leute sollten in zehn Schritten Abstand an dem Offizier vorbei. Schon lange, ehe er an der Reihe war, zählte Ginster die Schritte, um die Entfernung nicht zu versäumen. Wenn er früher zu müde zum Aufstehen gewesen war, hatte er auch immer bis zehn gezählt.Mit einem Ruck sprang er los. Er sah die Kameraden nicht mehr und zappelte aufs Geratewohl in der ausgeräumten Fläche. Noch nie war er so mühsam nicht vorwärts gekommen. Mitten im Freien blieb er stecken. »Zu aufgeregt«, sagte der Offizier, »die Beine nicht knicken.« Ginster entleerte die Augen. Die Zeichen, die Knötchen ihm gab, faßte er nicht. »Weitergehen«, brüllte ein Feldwebel. Als werde die Hohe Schule geritten, dachte Ginster und stieß sich von neuem ab. Im letzten Augenblick wurde sein dampfender Rumpf aufgefangen. Ahrend, der folgte, lispelte mit den Beinen.
    Allmählich ermittelte Ginster die Leute zu den Namen, die sich durch ihre häufige Wiederholung ihm eingeprägt hatten und wie ein Festtransparent vor ihm standen. Schalupp wurde der Mann aus dem Nachbarbett gerufen, der die Armbanduhr untersucht hatte. Jetzt lag er am dritten Fenster gegenüber in einem Unterbett, auch Ginster selbst war einer anderen Scheibe zugeordnet und unterhielt keine Beziehung mehr zu dem Lager der ersten Nacht. Jeden Tag wurde neu eingeteilt. Wenn er für eine Stunde den Saal verließ, mußte er damit rechnen, inzwischen heimatlos geworden zu sein. Das Kistchen wanderte immer mit. Wahrscheinlich hatte Schalupp mit mechanischen Arbeiten zu tun, wenigstens war er praktisch ausgestattet wie eine Kajüte. Er hielt sich einen schönen Putzlappen, den er wie ein Motorrad pflegte, und flickte seine Sachen zurecht. Wenn er nur halblaut vor sich hinpfiff, brachte er ohne viel Bürsten das Schuhwerk zum Glänzen. Auf fremde Zigaretten übte er eine gewisse Anziehungskraft aus. Abends grübelte er über die Vorschriften, die er nicht alle verstand; so brav, mittelgroß, einem militärischen Lehrbuch entnommen. »Früher wares doch besser«, redete Ginster ihn an, den sein Gleichmut verdroß. – »Ja, schon.« – »Der Dienst ist sehr anstrengend.« – »Ach was.« – »Du scheinst ihn ganz gern zu machen.« – »Ja, schon.« – »Aber früher war es doch besser.« – »Ach was.« – Viele Leute waren überhaupt nicht einzeln vorhanden, sondern hingen in einem Klumpen zusammen, in dem sie sich gegenseitig aufhoben. Aus ihm brach ein Ho hervor, das einer namens Morck gegen Ginster ausstieß, den es mit der Gewalt eines Kieselsteins traf. Vergeblich lächelte er Morck an, als freue er sich über

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