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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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übergestülpt zu haben, die ebenfalls brüllte. Auch die andern waren aus der Stadt zurück, mützenlos, mit offenen Knöpfen, das Licht lärmte, Ginster kroch aus dem Unterbett und schwankte zum Tisch. Die Leute erzählten durcheinander von den Mädchen, die sie heute mit Bier genossen hatten. »Bist du auch in der Schlüsselgasse gewesen«, fragte ihn einer. Er lächelte vielsagend, sie glaubten ihm nicht. Der Wind pfiff draußen. Hooooh. Kein Vorgesetzter, die Zigarettenstummel, immer neue Bierflaschen aus der Luft geholt. Ginster dachte sich ein Mädchen aus. »Bald nach dem Scharfschießen …«, hörte er Schalupp sagen. Schalupp scheuerte etwas, das er zwischen die Knie geklemmt hatte. In den Betten langgezogene Töne; es stank. »Laßt doch die Schweinerei«, fuhr eine Stimme los. »Meint er den Krieg?« fragte Ginster. »Bis der Krieg zu Ende ist«, flüsterte es von rechts unten herauf, »werden noch manche Offiziere niedergeknallt.« Der Nebenmann stöhnte. Ginster war wach geworden, ganz wach, hob sich halb in die Höhe und überflog mit aufgesperrten Augen die vielen Körper, die sich unruhig hin- und herwälzten. Seine Haut glühte, er raste durch die Nacht. Dann streckte er sich wieder und zerkaute ohnmächtig einen Taschentuchzipfel. Die großen Glasfenster klirrten.
    Um zum Karabinerscharfschießen zu gelangen, mußten sie eine Sandfläche durchwaten, die vom Regen aufgeweicht war, den der Sonntagswind gebracht hatte. DerSand wollte sie nicht weitergehen lassen, und eigentlich hätten sie auch getrost hier schon schießen können, Platz genug war vorhanden. Dann kamen hell auseinanderstehende Bäume, ein völlig möblierter Wald für Spaziergänger, mit einer Baumschonung in der Mitte, die Ginster leid tat. Kaum über der Erde, so jung noch. Außer den geladenen Patronen am Gurt schleppte er Sandklumpen mit, die sich ihm wie Teig um die Schuhe legten, warum die viele Natur. Zum Glück wurde sie erst im Frühjahr richtig gefährlich, wenn sie grünte. »Wir sind am Ziel«, meinte Göbel, dessen hoch gelegener Kopf die ganze Umgebung beherrschte. Im Zusammenhang mit den Patronen war Ginster der Ausdruck Ziel unbehaglich. Er sah Baumstämme kerzengrad aufragen, denen sämtliche Äste fehlten, damit sie ja wie Stangen wirkten. Richtige Stangen wären ihm lieber gewesen, obwohl sie insofern auch noch zur Natur gehörten, als sie aus Baumstämmen hervorgegangen waren. Beim Anblick der Schießstände atmete er auf; denn zum Unterschied von den Kanonen wurden die Karabiner offenbar nicht auf Stangen gerichtet, sondern auf künstliche Schießscheiben, die er im Hintergrund der Stände entdeckte. Es beruhigte ihn immerhin, daß die Ziele eigens angefertigt waren und die Baumstämme nur landschaftlich eine Bedeutung hatten. Unteroffizier Wernecke ordnete an, daß jeder Mann drei Schüsse abfeuern solle, und erklärte die Scheibe: wie rund sie sei und wo sie ihren Mittelpunkt besitze. Da er die Schußergebnisse der einzelnen Leute sorgfältig aufschrieb, wurde Ginster wieder mißtrauisch gegen die Scheibe. Vielleicht war sie doch kein Spielzeug – jedenfalls schien es geboten, sie nicht zu durchlöchern. Göbel, der sich in Ginsters Schießgruppe befand, prahlte schon im voraus laut mit seiner Treffsicherheit. Er kam baldan die Reihe. Während des Anlegens krümmte und verlängerte er sich, ein Komma, das vor Begierde verging, die Scheibe in zwei Satzhälften zu zerknallen. Dreimal riß es nur die Luft auseinander. Ginster lachte über seine vergebliche Anstrengung, ein militärisches Interpunktionszeichen zu sein. »Sie brauchen gar nicht zu lachen«, schrie Unteroffizier Wernecke ihn an, »mit der Kanone haben Sie viel schlechter gerichtet.« Das war auch etwas anderes, wollte Ginster sagen, schwieg aber aus Furcht vor Mißverständnissen still. Wie ihm im Augenblicke einfiel, war er als Knabe ein vorzüglicher Schütze gewesen. Mit einem Spatzenschießer hatte er in seiner Indianerzeit Kastanienäpfel hoch vom Baum geschossen – selber einen Kranz von Kastanienblättern ums Haupt, der dem echten Federschmuck nachgebildet worden war. Um die Ähnlichkeit zu vergrößern, hatte er überdies immer zwischen einigen Rippen das Blattfleisch ausgefranst. Als der Unteroffizier ihn aufrief, vergaß Ginster ganz, daß die Schüsse notiert wurden, so deutlich fühlte er noch die lückenhaften Blätter über sich wehen. Unter ihrem Schutz lehnte er sich gegen das Lachverbot des Unteroffiziers auf und zielte

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