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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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an sich herunter und bestaunte das Muster seines Rippenskeletts, das sich auf der Hautoberfläche scharf abzeichnete. Ein Wunder der Regelmäßigkeit; wie ein Kastanienblatt. Der Unterarzt war noch ein junger Mann; trotz des schwarzen Bartes, durch den er der Photographie seines Großvaters unbekannterseits glich. Überhaupt schien er unmittelbar aus einer weitverzweigten Verwandtschaft in die Uniform gefallen zu sein, jedenfalls sah er nicht im mindesten einzeln aus, sondern hatte eine unsichtbare Familie um sich herum, die, wenn er erst einmal eine Praxis ausübte, sicher bis in sein Sprechzimmer drang. In seinem Bart würde dann nach den Mahlzeiten ein Söhnchen kraulen. Einstweilen war freilich von der häuslichen Gemütlichkeit nichts zu spüren, im Gegenteil, der Unterarzt verfuhr so unfamiliär, als ob es statt der Angehörigen nur Schlachten gäbe. Um so eher konnte er zu den eigenen Angehörigen zurückkehren, der Mann mit den Narben hatte doch recht gehabt. Seine Narben wurden zu Schrammen erniedrigt, der Husten galt als künstlich erzeugt – ein Schwarzseher war der Unterarzt ungeachtet seiner Bartfarbe nicht. Er hatte ein solches Vertrauen in die Diensttauglichkeit der Leute, daß er mit Hilfe seines randlosen Pincenez ihre Beschwerden sämtlich als Täuschung entlarvte. Da er die Krankheiten ableugnete, brauchte er nur die Einbildung zu zerstören, daß jene Krankheiten wirklich bestünden. Einen Mann, der über Halsschmerzen klagte, schickte er sofort wieder zum Dienst, um ihn auf andere Gedanken zu bringen; hatte der Mann keine Zeit zu klagen mehr, so war er auch vom Halsweh befreit. Ginster bedauerte nur die Mullbinden in dem offenen Arzneischränkchen, die sich so zwecklos dort häuften. Während er entsetzt die Rückverwandlung der blassen Körper in gesunde Kanoniere verfolgte, bemächtigte sich seiner die Vorstellung,daß er das bis zum Schluß aufgesparte Hauptopfer einer Massenhinrichtung sei, die in umgekehrtem Sinne verlief. Die Tatsache, daß er nach den Anstrengungen mit Morck und auf dem Kasernenhof heute seine Mattigkeit nicht einmal selbst verschuldet hatte, raubte ihm noch den letzten Halt; denn der Unterarzt erkannte ja gerade die Echtheit der Leiden nicht an. Vielleicht wäre er zu überzeugen gewesen, wenn Ginster die Mattigkeit simuliert hätte; aber dazu fehlte ihm eben die Kraft. So blieb kein anderer Ausweg, als sich gesund zu stellen. Einem Kanonier gegenüber, der stramm wie ein Karabiner tat, konnte der Unterarzt wenigstens nicht behaupten, daß er ihn hinters Licht führen wolle.
    »Verzeihen Herr Unterarzt«, stotterte Ginster, als er endlich aufgerufen wurde, »ich bin eigentlich gar nicht krank … nur der Herr Vizefeldwebel meinte, weil mir der Karabiner zu schwer war … aber gestern habe ich noch ins Schwarze getroffen …«
    Das Kastanienblatt taumelte hin und her, kaum hielt es am Zweig. Ins Schwarze hätte er des Bartes wegen nicht sagen sollen. Nach dem Beruf gefragt, gab er aus Gewohnheit an, Hochbauingenieur zu sein, die Architektur war ihm völlig entfallen. Akademiker, ja. Das Wort Akademiker schien den Familiensinn des Unterarztes anzurühren. Er strich mit der Hand über den Bart, der sich etwas lockerte, wie ein Pflanzengespinst. Die Umrahmungen der Quadratscheiben konnten auch als Kreuze aufgefaßt werden.
    »Allgemeine Körperschwäche«, sagte der Unterarzt, »wir verwenden Sie besser in einem Büro.«
    Ginster begriff die Wendung nicht und taumelte weiter. Es surrte um ihn. Durch das Surren hindurch vernahm er undeutlich, daß er sich morgen früh dem Stabsarztzeigen solle, dem die endgültige Entscheidung zustehe. Heute dienstfrei. Der Mann vorhin, den der Unterarzt sogleich wieder zum Dienst geschickt hatte, war ein Schlosser gewesen. Gewiß war in der Verwandtschaft des Unterarztes der Schlosserberuf nicht vertreten. Beim Anziehen – längst hatte der Unterarzt den Raum verlassen – wurde Ginster ganz traurig, weil er jetzt eine allgemeine Körperschwäche besaß, die in Akademikerkreisen doch anscheinend besonders gefährliche Formen annahm. Er fühlte sich ernstlich erkrankt. Niemals hatte er während des Hungerns an seinen Besuch der Technischen Hochschule gedacht. Aus dem Nebenzimmer kam der Sanitäter auf ihn zu:
    »Der Sanitätsunteroffizier läßt fragen, ob du heute um sieben mit ihm im Weinrestaurant Traube zu Abend essen willst.«
    »Was ist denn passiert. Das Büro …«
    »Nichts weiter. Gehe nur hin.«
    Weil ich ein Stammgast bin,

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