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Ginster (German Edition)

Ginster (German Edition)

Titel: Ginster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Kracauer
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vorsätzlich auf die Scheibe, sie war ja schließlich nur eine Scheibe mit ihren vielen Kreisen, die alle in dem schwarzen Mittelloch ertranken, durch das er sich jetzt zu schleudern gedachte. Der Unteroffizier würde das Nachsehen haben. Eine Explosion erfolgte, Flammen fuhren heraus, und Ginster wurde nach rückwärts gestoßen. Das drittemal verwechselte ihn der Kolben mit der Scheibe und schlug ihn donnernd zu Boden. Betäubt von dem Sturz glaubte er in das schwarze Loch geflogen zu sein, weit fort hinter das Ziel, aber die Stimme des Unteroffiziers lobte so vernehmlich, als erklänge sie dicht neben ihm, seine drei guten Schüsse. In der Tat befanden sich die Scheibe und er noch am gleichen Fleck wie vorhin, auch die Baumstämme standen unverändert, niemand hatte etwas bemerkt. »Der letzte Schuß traf mitten ins Schwarze«, versicherte ein Hintermann seinem Vordermann. Göbel war zu einer Klammer geworden, die nichts einschloß, Unteroffizier Wernecke betrachtete Ginster von oben bis unten, machte eine zerstreute Kniebeuge und trat kopfschüttelnd weg. Wenn ihm vom Unteroffizier ein Blätterkranz aufgesetzt worden wäre – Ginster hätte ihn als selbstverständliche Huldigung hingenommen, er strahlte über die gelungenen Schüsse und wähnte sich im Mittelpunkt einer Riesenscheibe, deren Kreise ihn alle umringten. Gerade wurde der Rückmarsch angetreten, als er entdeckte, daß die Schießstände unmittelbar an einer Trambahnstation lagen. Die Kreise zerflossen. Statt der Einöde, in der er sich vermutet hatte, nur die gewöhnliche Landstraße, der ganze Sand war überflüssig gewesen.
    »Das haben Sie dumm angestellt mit dem Schießen«, sagte unterwegs Knötchen zu ihm.
    »Wa …?« Ginster starrte ihn an.
    »Wenn ihr jetzt in die Etappe kommt – die besten Schützen werden natürlich zuerst abgeschoben. Der Unteroffizier hat ein Kreuzchen hinter Ihren Namen gemacht.«
    »Aber ich habe ja nur des Lachens wegen getroffen. Sonst schieße ich doch immer daneben …«
    Knötchen zuckte ungläubig die Achsel: »Sie haben es selbst gewollt. Vielleicht erhalten Sie noch die Schützenschnur.«
    Ginster grollte den Kastanienblättern und sah sich schon im grünen Hütchen mit einer wirklichen Feder. Nun mußte er endgültig in den Krieg, die Schüsse waren öffentlicher als sein Gewicht. Abends im Quartier stellteer fest, daß ihm sein Tabaksbeutelchen fehlte. Wenn er eine Nachricht empfing, die ihn erschreckte, verlor er gewöhnlich irgendeinen Gegenstand. Das Beutelchen schloß nicht mehr gut, knisterte aber in gefülltem Zustand schön und lebte überhaupt seit Jahren mit ihm zusammen. Lang dachte Ginster im Bett an das Beutelchen. Gleich in der Frühe die Leute fragen, so peinlich, Fragen zu stellen, sicher hatte es keiner gefunden.
    Am nächsten Morgen schmerzten ihn nach dem Aufwachen die Arme; als seien sie vom Karabiner gewaltsam ausgerenkt worden. Das Beutelchen. In der Toilette wusch er sich zufällig neben Morck. »Hast du gestern … mein Beutelchen nämlich …«
    »Hoaaah.«
    Nicht das übliche Ho, sondern ein neuer, vielleicht eben erst entstandener Laut, und dazu noch Wasser gespritzt. Ginster hatte sich doch nur aus Pflichtgefühl erkundigen wollen, höflich, wie bei einem fremden Befinden. Um nicht zuletzt selbst verdächtigt zu werden, nahm er das Beutelchen wieder zurück; es sei nicht das geringste Beutelchen gewesen. Morck schimpfte weiter, weil er sich ärgerte, daß ihm der Anlaß zum Schimpfen entzogen worden war, und Ginster wäre gern unter die Flanelllappen gekrochen, in die er vor dem Dienst noch rasch seine Pfeife steckte. Sie mochte der Armbanduhr dort Gesellschaft leisten. Einmal ging das Ho sogar in ein Hu über, das ihn fortstieß wie der Kolben beim Schießen. Er wollte in Zukunft nur die Stumpen rauchen, ohne das Beutelchen war der Tabak nicht zu verwenden. Auf dem Kasernenhof wurde der hier zum Schweigen genötigte Morck sogleich durch den Vizefeldwebel Leuthold abgelöst, der nur selten den Dienst versah. Er hatte sämtliche Gerüchte von seiner Versetzung besiegt. Heute funkelteer wie das schöne Wetter, vor dem Ginster Angst hatte, mit dem Schleppsäbel an der Seite, den er geräuschvoller schleppte als alle anderen Vorgesetzten. Offenbar war er in guter Verfassung, wenigstens fuhr er besonders übelgelaunt gegen die Leute los; es fehlte nur noch, daß auch sein Säbel aus der Scheide fuhr. Beides zusammen konnte sich Ginster freilich nicht vorstellen. Die Karabiner nach vorne

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