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Girl

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Titel: Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Thomas
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»Kommen Sie bitte zu mir ins Büro, und zwar unverzüglich.«
    Ich zog einen Taschenspiegel aus meiner Handtasche, überprüfte mein Aussehen, zupfte hier und dort ein Haar zurecht, atmete tief durch und erhob mich vom Schreibtisch. Auf halbem Weg fiel mir ein, dass ich etwas vergessen hatte: meinen Stift und Notizblock. Mimi hasste es, wenn sie nicht jederzeit Memos oder Briefe loslassen konnte.
    Ich hastete zurück zum Schreibtisch und wühlte nach dem Gesuchten. Als ich mich wieder auf den Weg machte, war jedwedes Resultat meiner Haarpflege dahin, während ich noch schnell im Gehen mein Kleid glattstreifte.
    »Viel Glück«, zischte Camilla, als ich meinen Kopf in Mimi Harts Tür steckte.
    »Nur herein, nur herein. Ich werde Sie schon nicht auffressen.« Sie klang etwa so überzeugend wie der Wolf bei Rotkäppchen.
    »Ihre Briefe sind geschrieben, ein Fahrradkurier holt gerade Ihr Ticket vom Reisebüro ab, und die Reinigung hat hoch und heilig versprochen, Ihr Kleid bis sechs fertig zu haben«, erklärte ich flehentlich.
    »Gut«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich Sie öfters so erschrecken. Es scheint Ihre Produktivität wundersam zu beflügeln. Also, ich habe die Reaktionen auf das Statement Ihrer Freundin Melanie durchgesehen, die übrigens dringend bezüglich ihres Modegeschmacks beraten werden müsste. Sie haben Ihren Notizblock dabei, nehme ich an?
    Gut. Also … Ich habe der gesamten Tagespresse eine Stellungnahme in Ihrem Namen zukommen lassen, und zwar wie folgt: ›Ich freue mich sehr für Melanie. Ich weiß, dass die Öffentlichkeit an ihrer bevorstehenden Geschlechtsumwandlung großen Anteil nehmen wird. Aber in meinen Augen ist sie schon jetzt ein wunderbares Mädchen und eine großartige Freundin. Ich bin sicher, ihr Auftritt bei den
Eastenders
wird ein Riesenerfolg.‹ Haben Sie das? … Sie müssen es jedem weiteren Anrufer gegenüber wiederholen können. Und Sie dürfen nur das und kein Wort mehr sagen. Haben Sie verstanden?
    Gut. Nichts kann dem eigenen Image mehr schaden als Spontaneität. Eine einzige unbedachte Äußerung kann zur Katastrophe führen. Lernen Sie also Ihren Spruch, und halten Sie sich daran. Zweitens, das Fernsehen. Alle wollen ein Interview: das Frühstücksfernsehen, die Morgenshows, Sky News, alle. Tatsache ist allerdings, dass Sie nur eine Nebenrolle spielen, also werden Sie im günstigsten Fall gerade einmal dreißig Sekunden Sendezeit bekommen, nachdem Darling Melanie ihren Auftritt hatte. Und ich habe entschieden etwas dagegen, dass Sie den Rest der Woche damit verschwenden, von einem Londoner Fernsehstudio zum nächsten zu wandern.«
    Gott sei Dank, dachte ich, hocherfreut darüber, mein Gesicht nicht im Fernsehen präsentieren zu müssen. Wenn ich eins ganz bestimmt nicht gebrauchen konnte, dann, dass mein Gesicht noch bekannter wurde. Doch dann kam die schlechte Nachricht…
    »Allerdings«, sagte Mimi, »habe ich zugesagt, dass Sie heute Nacht in der
Late Show
auftreten. Sie veranstalten ein Studiogespräch über die Fernsehrolle Ihrer Freundin und deren Bedeutung. Was wir daraus über den gegenwärtigen Stand der Geschlechterdebatte erfahren; ist es eine Metapher für … für … ach, ich habe vergessen, wofür es eine Metapher sein soll, aber es ist ganz bestimmt unheimlich bedeutsam.«
    Ich war starr vor Schreck. »Ich kann das nicht. In der
Late Show
treten doch lauter Intellektuelle auf, die Sorte Leute, mit der meine Schwester laufend herumhängt. Ich werde mich zur Idiotin machen.«
    »Unfug«, sagte Mimi. »Sie werden eine gute Figur abgeben. Und der Auftritt in einer so angesehenen, kulturell hochklassigen Sendung wird für Ihre Karriere Wunder wirken. Ihre Kunden werden mächtig beeindruckt sein. Sie werden begeistert sein, von Ihnen betreut zu werden.«
    Ich zweifelte, Mimi richtig verstanden zu haben. Es hatte danach geklungen, als ob sie mir eine Beförderung in Aussicht gestellt hatte. »Sie meinen … als Geschäftsleiterin?«
    »Warum nicht?«
    »Aber was, wenn es ein Desaster gibt?«
    »Um Gottes willen, Jackie, gewöhnen Sie sich endlich eine positive Haltung an. Zunächst einmal, es wird kein Desaster geben. Und zweitens, niemand sieht tatsächlich die
Late Show.
Ganz bestimmt niemand aus der Modebranche. Sie würden nämlich kein einziges Wort verstehen, selbst wenn sie zu dieser nachtschlafenden Stunde ausnahmsweise einmal nicht damit beschäftigt wären, abzutanzen und irgendwelche Pillen einzuwerfen. Aber ihnen wird die Vorstellung gefallen,

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