Girl
Autorenporträt. Ein Bild im Passfotoformat, auf dem einem ein Gesicht mit Halbglatze und dichtem Bart nervös entgegenblickte. Darunter war eine Kurzbiographie, der zu entnehmen war, dass er früher Sozialarbeiter gewesen war und jetzt für zahlreiche Zeitschriften im Land über Männerthemen schrieb.
Sein Buch hatte den Titel
Aua, Mami, das tut weh! – Wie Manner ihren Schmerz Verstecken.
Der Titel lief über die ganze Vorderseite. Es gab wohl keine wohlmeinenden Stimmen.
Beide Bücher schienen weitaus weniger vergnüglich zu sein, als den Noizee Boyz zuzusehen, die emsig mit ihren Cowboyhosen beschäftigt waren und sich vorsichtig übers Haar fuhren, um sicherzugehen, dass auch ja keine Strähne verrutscht war. Dennoch sollten sie nicht denken, dass ich sie angaffte, zumal ich ja genau das tat, so dass ich mich dazu aufraffte, einen kurzen Blick auf meine Hausaufgaben zu werfen.
Soweit ich das überblicken konnte, ging Dierdre von dem Grundsatz aus, dass alle Männer der Welt einen Kreuzzug führten, auf dem sie jede Frau, der sie irgendwie habhaft werden konnten, vergewaltigten, schändeten und massakrierten. Matthew hingegen vertrat die Überzeugung, dass Frauen es grundsätzlich darauf anlegten, Männer in den Selbstmord zu treiben, indem sie sie heimtückisch der häuslichen Gewalt bezichtigten, sie aus dem Haus warfen, ihnen ihr Geld und ihre Kinder nahmen. In beiden Büchern gab es nicht viel zu lachen.
Nachdem ich ein paar Kapitel überflogen hatte, war es fast viertel vor sieben. Ich hatte eine ganze Stunde in der Kantine gesessen und sollte in fünfzehn Minuten auf Sendung sein. Vielleicht hatten sie mich vergessen. Sollte ich losgehen und nach ihnen suchen? Nur wo? Ich würde mich in den vielen Gängen nur verlaufen. Niemand würde mein Verschwinden bemerken. Ich wäre die Amelia Erhardt von TV Centre.
Vor lauter Nervosität musste ich dringend zur Toilette. Ich wollte mich gerade auf die Suche nach der Damentoilette begeben, als Andy Pallister auftauchte. »Entschuldigung, dass Sie so lange warten mussten«, sagte er. Dann blickte er mich an. »Waren Sie noch nicht in der Maske?«
»Nein«, sagte ich. »Sollte ich das? Sie haben doch gesagt, ich sollte hier warten …«
»Ja, schon. Ich konnte ja nicht ahnen … Verdammte Dierdre LaChatte. Ich kenne keine Frau, die länger für die Maske braucht. Kommen Sie mit.«
Er führte mich eine Reihe von Fluren entlang und durch schwere Doppeltüren hindurch, über denen der Schriftzug STUDIO: KEIN ZUTRITT aufleuchtete. Wir gingen durch das Studio, wo gerade die Kamera- und Beleuchtungsprobe gemacht wurde, und landeten in einem winzigen Raum am anderen Ende des Studios.
Dierdre LaChatte sass auf einem Stuhl. Ihre üppige, amerikanische Haarpracht steckte in Lockenwicklern, so dass man den dunklen Haaransatz ihrer goldblonden Mähne erkennen konnte. Eine junge Frau tupfte ihr mit einem Schwämmchen über ihr Gesicht.
Diese berühmte Autorin war das lebende Beispiel dafür, dass die Kamera lügen kann. Sie war zierlich gebaut. Ihre knochigen Arme und Handgelenke sahen aus wie abgenagte Hühnerknochen. Und ihr Gesicht, eingefallen und verrunzelt wie eine Kopfjägertrophäe, verriet ein paar Extra-Jahrzehnte, die auf dem Umschlag ihres Buches irgendwie abhandengekommen sein mussten.
Die Visagistin tat ihr Bestes, die Wahrheit zu übertünchen, aber es war augenscheinlich nicht genug.
»Ich kann es nicht fassen«, jammerte LaChatte. »Sie lassen mich ja wie Hundertzwanzig aussehen. Ich wusste es, ich wusste es. Ich hätte meine eigene Visagistin mitbringen sollen. Bis jetzt hat es noch jede einzelne Fernsehanstalt in diesem gottverdammten Land geschafft, ein Monster aus mir zu machen.«
Sie wandte ihren Kopf einer Frau zu, die nervös in der Ecke hockte. »Damit Sie es wissen, ich trete in keiner Show mehr auf – keiner einzigen! –, bis dieses Problem gelöst ist. Ist das klar?«
Ein Ausdruck blanken Entsetzens stand auf dem Gesicht der nervösen Frau. Sie starrte hilflos auf ein Klemmbrett, das auf ihren Knien lag. »Aber Dierdre, morgen früh haben wir Anne und Nick, und morgen Nachmittag sind wir bei
Capital Women
und …«
»Keine einzige«, wiederholte LaChatte. Als sie ihr Gesicht wieder dem Spiegel zuwandte, fiel ihr Blick auf mich, und sie stöhnte laut auf. »Ich kann jetzt keine Autogramme geben. Sehen Sie denn nicht, dass ich beschäftigt bin?«
»Entschuldigung, Miss LaChatte«, murmelte Pallister, »dies ist Jackie Barrett. Sie wird
Weitere Kostenlose Bücher