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Girl

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Titel: Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Thomas
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richtigen Worten. »Sie wissen doch, wie man sich an Ereignisse aus der Kindheit erinnert? Aber erinnert man sich wirklich, wie man gefühlt hat, wie man auf die Dinge reagiert hat, ja beinahe, wer man überhaupt war? Eltern verstehen ihre Kinder nicht, weil sie vergessen haben, wie das war, als sie so alt oder so gross waren. Und ich, ich vergesse, wie es damals als Mann war.«
    James sah mich mit so durchdringendem Blick an, dass mein Magen aufgeregt hüpfte. Dann entspannte er sich und sagte halb scherzend: »I like you just the way you are.«
    »Das will ich doch hoffen! Anderenfalls hätte ich über Ihre Chirurgenkünste kein gutes Wort zu verlieren.«
    Er blickte mich über den Tisch hinweg an und nahm wieder meine Hände. »Ich habe Sie nicht gemacht, Jackie. Das liegt nicht in meinen Möglichkeiten. Ich kann nur das zum Vorschein bringen, was vorher schon da ist. Aber das, was Ihre Person, was Ihre ganze Attraktivität ausmacht, das hat mit mir nichts zu tun. Das sind ganz allein … Sie.«
    Während ich in seine dunklen, ernsten Augen starrte und die Gedanken des Mannes dahinter zu entziffern suchte, fühlte ich, dass ich in Wasser geraten war, die so tief waren, dass ich darin unterzugehen drohte. »Was ist los, James?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Nichts, was ich geplant oder vorhergesehen hätte. Und was vermutlich nie wieder passiert. In ein paar Wochen stehen wir uns im Gerichtssaal gegenüber. Meine Anwälte wären außer sich, wenn sie wüssten, dass ich mich hier mit Ihnen treffe. Aber ich weiß nur eins: Ich bin lieber hier als sonst irgendwo auf der Welt.«
    Als ich später ins klare, frühherbstliche Sonnenlicht hinaustrat, war es, als würde ich aus einem Traum erwachen. Ich konnte es kaum ertragen, mich von James zu trennen, während er mir einen freundschaftlichen, aber gänzlich unverfänglichen Kuss auf die Wange drückte. Ich sehnte mich danach, von ihm in den Arm genommen zu werden, um der ganzen Welt zu zeigen, wie er fühlte, unabhängig von allen möglichen Konsequenzen.
    Aber James hat gewiss recht. Bei dem anstehenden Gerichts Prozess ist das ausgeschlossen. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Wir können uns nur mit dem Gedanken trösten, dass es einen Tag gab – vielleicht auch nur eine Stunde –, wo alles möglich schien. Alles … und gleichzeitig nichts.
    11. September
    Jenny Fielden war natürlich total fasziniert, als ich ihr die Geschichte erzählte. »Das erklärt alles«, sagte sie. »Ich habe ihn gestern getroffen, und er schlich wie benebelt herum. Er könne sich auf nichts mehr konzentrieren, habe irgendwer zu ihm gesagt. Gewöhnlich ist er so cool und respektheischend. So kannte ich ihn noch gar nicht.«
    Mit keiner anderen Bemerkung hätte sie mir mehr Freude machen können. Während der vergangenen achtundvierzig Stunden hatte ich keinen zusammenhängenden Satz in die Maschine tippen können. Und zu wissen, dass es James genauso erging, war wunderbar, selbst wenn wir nichts dagegen unternehmen konnten, was auch Jenny gleich nachdrücklich unterstrich.
    »Wenn Sie mit James Mandelson ausgehen, und die Presse bekommt Wind von der Sache, ist seine Karriere genauso ruiniert wie Ihr Ansehen. Und Ihre Schadensersatzklage könnten Sie vergessen. Doch sollten wir vom psychiatrischen Standpunkt aus gesehen, denke ich, genauer erforschen, was Sie für ihn empfinden. Und warum Sie so empfinden.«
    »Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, was ich für ihn empfinde, außer dass er mich im Restaurant, als er meine Hände hielt, hätte fragen können, ob ich mit ihm bis zum Mond gehen würde, und ich hätte ja gesagt. Und was das ›Warum‹ angeht … Ich hätte gehofft, Sie könnten mir da weiterhelfen.«
    Jenny dachte einen Augenblick nach. »Ich denke, die dahinterstehende treibende Kraft ist eine Variante des Vater-Tochter-Verhältnisses. Auf der einen Ebene sind Sie sein Geschöpf.«
    »Er sieht das ganz anders.«
    »Mag sein, aber es entspricht Ihrem bewussten oder unbewussten Empfinden. Und es gibt eine lange, mythische Geschichte von Frauen, die sich in ihren Schöpfer verliebt haben, und natürlich auch umgekehrt. Pygmalion und seine Statue, Henry Higgins und Eliza Doolittle, Svengali und Trilby – die Liste der Beispiele ist lang.«
    »Selbst wenn ich nicht auch nur von einem der Fälle gehört habe?«
    Jenny sah mich geschockt an. »Sie kennen nicht
My Fair Lady?
Herrje, die jungen Leute von heute! Sie können sich sicher sein, dass James Mandelson

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