Girl
oder vor der Glotze angesehen, seit wir dem Laufstall entwachsen waren. Wir haben nächtelang in Pubs rumgehangen, über Spieltaktik diskutiert, Insiderwissen ausgetauscht und uns unsere Traumteams zusammengestellt. Und jetzt hatte ich nach Jahren ernster Fußball Gespräche aus heiterem Himmel und ohne groß darüber nachzudenken einen typischen Weiberkommentar abgegeben.
»Mach dir nichts draus, war bloß ein Scherz«, sagte ich. »Und überhaupt, sieh dir lieber die Wiederholung an. Le Saux war eindeutig letzter Mann.«
20. Mai
Heute musste ich zu Marcus Pinkney. Er sagte, es ginge um eine überaus dringliche Angelegenheit, die wir bezüglich meiner Klage gegen St. Swithin’s zu bereden hätten. Wir hatten in den vergangenen drei oder vier Monaten wiederholt telefoniert und auch ein paar Briefe gewechselt, aber er hatte mich seit unserer ersten Begegnung im letzten Dezember nicht mehr gesehen.
»Du meine Güte«, sagte er, als ich in sein Büro trat. »Sie haben sich aber verändert.«
»Ja, das stimmt«, sagte ich, während ich ihm gegenübersitzend meinen Rock glattstrich.
»Ich muss sagen, der zornige junge Mann von vor sechs Monaten ist kaum mehr in der bezaubernden jungen Frau wiederzuerkennen, die heute hier vor mir sitzt.«
»Da haben Sie wohl recht.«
»Das war als Kompliment gemeint«, sagte er. Er orderte Tee, und wir gingen unverzüglich zum geschäftlichen Teil über. »Also, meine Liebe …«, begann er herablassend, und seine Redeweise unterschied sich meilenweit von der kollegialen Art, die er damals Bradley Barrett gegenüber verwendet hatte.
»… es läge mir fern, eine hübsche junge Frau an einem so schönen Tag wie heute mit juristischen Spitzfindigkeiten zu belästigen, aber Ihre Klage gegen St. Swithin’s hat eine höchst unerwartete Wendung genommen. Wie es scheint, will die Klinik in dieser Angelegenheit vor Gericht gehen.«
»Tatsächlich? Wieso das?«
»Nimm, gerade das versuche ich herauszufinden. Wie Sie wissen, habe ich diesen Fall, um es einmal salopp zu sagen, immer für ein gelegtes Ei gehalten. Schließlich handelt es sich um einen Akt sträflichster Fahrlässigkeit. Die Fakten liegen zweifelsfrei auf der Hand. Also, wie Sie schon sagten, es stellt sich die Frage: Wieso?«
»Die glauben doch nicht etwa, gewinnen zu können?«
»Genau da liegt die Crux. Sie müssen davon ausgehen. Ihnen müssen Informationen vorliegen, die ihnen das Gefühl geben, im Vorteil zu sein. Und wir müssen herauszufinden versuchen, was für Informationen das sein könnten. Ich muss Sie also gleich als erstes fragen, und ich möchte es so vorsichtig wie möglich formulieren, ob in Ihrem persönlichen Verhalten irgendein Grund für die Zuversicht der Klinik liegen könnte?«
»Nein, das glaube ich nicht. Natürlich war da mein… mein Suizidversuch. Aber der Grund dafür lag einzig und allein darin, was sie mir angetan hatten. Wenn Sie mich fragen, stärkt mein Versuch eher unsere als ihre Seite.«
»Ja«, sagte Pinkney, »ich stimme in diesem Punkt völlig mit Ihnen überein. Vielleicht liegt noch ein anderer Grund vor. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber sind Sie, wie soll das … Sind Sie, um es gerade heraus zu sagen, immer ein anständiges Mädchen gewesen?«
»Wenn Sie mich fragen, ob ich mit irgendwem im Bett gewesen bin, so denke ich, dass Sie das verdammt noch mal nicht den geringsten Scheißdreck angeht.«
»Hmmm … Sie haben sich also doch nicht völlig gewandelt. Wie dem auch sei, ich bin sicher, Miss Barrett, Sie wissen, dass in einen Rechtsstreit immer auch Dinge mit hineingezogen werden, die im alltäglichen Leben als streng privat gelten. Wenn ich Ihnen helfen soll, muss ich über alles informiert sein. Nichts ist unangenehmer vor Gericht, als eine unvorhergesehene Information. Ich möchte Sie also noch einmal fragen: Haben Sie seit Ihrer Operation mit irgendeinem … Mann verkehrt?«
»Ich habe noch nicht einmal einen Mann geküsst. Jedenfalls nicht im romantischen Sinn.«
»Dem Himmel sei Dank.«
»Aber ich habe mit einer Frau geschlafen.«
Pinkney spuckte in seinen Tee und verschüttete die Hälfte auf seinen Perserteppich. »Wie? Wollen Sie damit sagen, Sie seien in irgendeiner Weise lesbisch? Mein Gott, kein Wunder, dass Swithin’s siegessicher vor Gericht zieht. Das wird kein Richter gerne hören.«
»Nein, ich bin keine Lesbe. Und der Richter soll denken, was er will. Tatsache ist, dass ich eine kurze Affäre mit einer Frau hatte, während ich mich
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