Girl
mitgebracht hatte, um den Anlass gebührend zu feiern.
Nachdem wir das erste Glas geleert hatten, zog ich meine Jeans und mein Hemd aus, zog mir das Kleid über den Kopf und schlüpfte in die Schuhe. Lorraine nahm den Schal vom Boden auf und drapierte ihn lose um meinen Hals. Sie lächelte, allerdings ernsthafter als zuvor.
»Ich muss sagen, Jackie, es steht dir wirklich.« Dann grinste sie. »Sieht nur ein wenig hausbacken aus, oder? So ein bisschen nach Hausfrau, die ihre zwei Sprösslinge von der Schule abholt.«
»Was soll das heißen, hausbacken?«
»Na ja, ich weiß nicht. Ich hätte dich etwas mutiger eingeschätzt. Du hast es immer gehasst, wenn ich etwas trug, das mir auch nur halbwegs bis zu den Knien reichte. Oh, also wirklich, jetzt sieh mich bloß nicht so an. War doch bloß ein Scherz…«
Dann musste ich eine Pirouette drehen. Das Kleid geriet dabei nicht sonderlich in Bewegung, weil es bis unten hin zugeknöpft war. »So wirst du kaum hinter dem Bus herrennen können«, sagte Lol, während sie die drei untersten Knöpfe öffnete. »Und außerdem müssen wir uns für deine Beine was einfallen lassen, meine Teuerste. Ich habe schon Albino-Kaninchen mit dunkleren Beinen gesehen.«
Als Mike nach Hause kam, war uns der Champagner schon ziemlich zu Kopf gestiegen. »Sieh dir Jackie an«, sagte Lol. »Fällt dir nichts auf?«
»Bitte?« sagte Mike im Tonfall eines Mannes, der einen harten Arbeitstag hinter sich hatte und wenig Lust hatte, sich bei seiner Heimkehr mit zwei angetrunkenen Weibern herumzuschlagen.
»Na, nu sieh sie dir an«, sagte Lol. »Fällt dir was auf… sagen wir eine neue, aufregende Veränderung im äußeren Erscheinungsbild deiner Freundin?«
Mike sah zu mir rüber. »Oh … yeah… richtig«, sagte er. »Die Frisur. Sehr hübsch. O Mann, hab’ ich einen Durst. Hey, Jacks, du hast bei deinem letzten Einkauf nicht zufällig daran gedacht, neues Bier mitzubringen?«
14. Mai
Heute bin ich mit dem Kleid zu Carries Kurs gegangen. Ich hatte mir die Lippen geschminkt und sogar ein wenig Lidschatten aufgelegt, was ich sonst selten mache. Es war ein milder Frühlingsabend, und auf dem Weg zur U-Bahn entlang der Battersea Park Road war ich voller Energie und zufrieden mit mir selbst. An der Einmündung der Queenstown Road begegnete mir ein Mann mit Hund. Er pfiff mir nach – ein anerkennender, freundlicher Pfiff –, und ich lächelte zurück und dachte mir nichts dabei.
Carrie war über mein Aussehen hocherfreut. Sie sagte, das wäre ein echter Durchbruch. »Ich bin ja so froh«, sagte sie. »Ich weiß, Sie halten mich für durch und durch altmodisch, aber es tat mir in der Seele weh, mitansehen zu müssen, wie wenig Sie aus sich machten.«
»Ich möchte mich entschuldigen«, sagte ich. »Ich wollte Sie nicht kränken.«
»Schon vergessen. Wir verhalten uns alle nicht sonderlich rational, wenn wir die größte Verwandlung in unserem Leben durchmachen.«
»Da kann ich nicht mitreden, ich bin noch nicht in den Wechseljahren.«
»Ich auch nicht«, sagte Carrie. »Das meinte ich auch gar nicht.«
Ich war verblüfft. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie …«
»Ich bin jedenfalls nicht so auf die Welt gekommen. Mein Taufname war John. Ich war früher Chemielaborant.«
»Da wäre ich nicht im Traum drauf gekommen«, sagte ich.
»Sehen Sie«, sagte Carrie. »Vielleicht sind meine Kurse gar nicht so dumm.«
Wir hatten das Kursprogramm fast hinter uns. Wir hatten gehen und sitzen gelernt und wie man sich schminkt. Jedes kleinste Detail in Bewegung und Haltung, wie man jemandem die Hand gibt, sich eine Zigarette anzündet, sich den Mantel anzieht und ihn wieder abnimmt, alles war genauestens analysiert, besprochen und einstudiert worden, bis es in Fleisch und Blut übergegangen war, damit an die Stelle unserer früheren Männergewohnheiten nicht Geziertheit und Tuntengehabe – die Carrie gleichermaßen verachtete –, sondern eine natürliche Weiblichkeit trat.
Zeit für das große Defilee – eine einfache Bewegungsfolge: aus einem Wagen steigen, durch eine Tür in ein Foyer treten, Gastgeber und Gastgeberin begrüßen, sich einen Drink holen und auf einem Sofa Platz nehmen.
Als die Reihe an mir war, lief ich zögerlich durch den Raum. Ich schämte mich ernsthaft für mein vorheriges Benehmen und wollte deshalb so unauffällig wie möglich bleiben.
In dem Moment hörte ich Melanies dröhnendes Organ: »Was macht denn die traurige Schießbudenfigur … dieser trottelige
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