Girl
kommen.
Am Anfang waren wir uns spinnefeind, aber inzwischen glaube ich, dass er mich wie kaum ein anderer versteht. Er kennt mich buchstäblich in- und auswendig. Er weiß mehr als irgendwer, was ich durchgemacht habe und wohin ich mich entwickle.
Nachdem er nachgeschaut hat, ob auch alles an seinem Platz sitzt (ich weiß, das ist jetzt ziemlich unappetitlich, aber künstliche Vaginen haben die Eigenschaft, sich zu lösen und einfach unten rauszufallen), plaudern wir immer noch ein bisschen, während ich mich wieder anziehe.
Manchmal legt er seine Termine so, dass er noch Zeit für eine Tasse Kaffee hat und mit mir über die Veränderungen in meinem Leben reden kann. Jetzt, wo wir beide so viel entspannter sind, erscheint er mir als ein völlig anderer Mensch im Vergleich zu dem kalten, zugeknöpften Chirurgen, dem ich gleich nach der Operation am liebsten an die Kehle gegangen wäre. Wobei ich dazusagen muss, dass auch ich damals nicht mein feinstes Benehmen an den Tag gelegt habe.
Ich war heute Morgen bei ihm, weshalb ich auch jetzt darauf zu sprechen komme. Während wir bei Kaffee und Gebäck zusammensaßen, fiel mir plötzlich auf, dass ich nicht einmal wusste, wie alt er war. Also brachte ich ihn diesmal dazu, etwas über sich zu erzählen. Wie sich herausstellte, ist er neununddreißig. Er war verheiratet, wie es auch in der Zeitung gestanden hatte. Nur hatte die ›Mail‹ unterschlagen, dass er und seine Frau ein gemeinsames Kind hatten – ein kleines Mädchen Namens Carey. Als die Ehe vor etwa acht Jahren in die Brüche ging, war die Scheidung für ihn sehr bitter. Rachel, seine Frau, ging nach Israel und nahm das Mädchen mit sich.
Die ersten Jahre über flog James in den Ferien rüber, um Carey zu sehen. Aber dann heiratete seine Exfrau einen anderen und beschloss, das kleine Mädchen solle nicht, wie sie es ausdrückte, ›verwirrt* werden. Sie erwirkte also einen Gerichtsbeschluss, der James jeglichen Kontakt untersagte, und seither hat er Carey nicht mehr gesehen.
Er sah unendlich traurig aus, als er mir die Geschichte erzählte, und ich war praktisch den Tränen nahe. Ich hatte ihn mir nie als einen Mann vorstellen können, der Schwäche zeigte. Aber ich denke, der Schmerz über den Verlust seines Kindes lässt ihn nie los. Er ist ein wunderbarer Mensch. Ich mag ihn wirklich sehr.
1. Juni
Seit jenem Sonntagmorgen wird mein Verhältnis zu Caroline von Tag zu Tag besser. Wir sind inzwischen fast schon Freundinnen. Aber komischerweise wird gerade dadurch unser Zusammenleben in der Wohnung immer schwieriger für mich. Mike und Caroline wollen mich immer mitschleppen, wenn sie ins Kino oder eine Pizza essen gehen. Sie sagen, es würde ihnen bestimmt nichts ausmachen, wenn wir zu dritt sind.
Nur komme ich mir dabei nur noch mehr wie ein Anstandsdackel vor. Sie haben sogar schon überlegt, ob Caroline nicht bei uns einziehen soll, und ich frage mich, ob das nicht ein Signal für mich ist, auszuziehen. Ich bin bislang noch nicht umgezogen, weil ich einen festen Punkt in meinem Leben behalten wollte. Was immer auch mit mir geschehen war, ich lebte nach wie vor in meiner alten Wohnung.
Nun aber scheint die Zeit reif, sich nach einem Ort umzusehen, der allein Jackie gehört, an dem Bradley nie war. Ich möchte gern selbst alles einrichten, mir vernünftige Möbel zulegen und mein Zuhause etwas freundlicher gestalten als die Höhle, in der Mike und ich all die Jahre gehaust haben. Lorraine hat ebenfalls vor, sich eine neue Wohnung zu suchen – sie durchlebt gerade eine Wohngemeinschaftskrise. Vielleicht können wir zusammenziehen.
Wie auch immer, es muss möglichst bald sein, denn so wie meine Freundschaft mit Caroline wächst, so wächst auch die Spannung zwischen Mike und mir, die seit Monaten unter der Oberfläche brodelt. Allmählich wird es wirklich ernst… und ziemlich kompliziert obendrein.
Mike mault regelmäßig, wenn er einen meiner Slips über der Badewanne hängend findet, und ich bekomme einen dicken Hals, wenn er von mir offenbar erwartet, dass ich mich um den kompletten Haushalt kümmere. Es nervt mich weniger die Tatsache, dass ich den großangelegten Frühjahrsputz ganz allein erledigt habe. Von dem Ergebnis konnte ich zumindest unmittelbar profitieren. Viel nerviger ist der alltägliche Kleinkram… neues Papier auf den Halter zu stecken, wenn die Rolle abgelaufen ist; dicke, halbverfaulte Haarbüschel aus dem Duschabfluss zu ziehen; den ganzen Vormittag damit zu verbringen, sein
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