Girlfriend in a Coma
Staaten und hinüber zur Olympic Peninsula, blicken kann. Der Himmel ist klar wie Glas. Hundert Meilen in Richtung Osten liegt der Mount Baker ein amerikanischer Fudschi: massiv wie Blei, weiß wie Licht. Linus grübelt über mich nach, und er grübelt über die Zeit nach - über den Tod, die Unendlichkeit, das Überleben und jene Fragen, auf die er damals, als er noch so jung war, Antworten suchte. Er war der einzige von uns, der jemals tiefschürfendere Fragen gestellt hat als die, wo abends die Party stattfinden sollte. Ich habe seine Meinung immer respektiert. Er sitzt auf der warmen Motorhaube seines Militärjeeps oben an der Auffahrt zu dem Haus, in dem vor einem Jahr die Dreharbeiten stattfanden. Die Lkws und Wohnwagen stehen immer noch an der Straße. Die schweigende Stadt, von Verbrennungen, Wunden und Ausschlägen verunstaltet, liegt unter ihm ausgebreitet.
Inmitten dieser friedlichen Szenerie ertönt plötzlich ein Donnern wie von einer Brandung und dann ein katastrophales Wumm. Ein Bild schießt ihm durch den Kopf: sein betrunkener Vater, der mit der Faust auf den Eßtisch haut. Der Boden dröhnt, und im Osten speit der Mount Baker eine Feuersäule aus Lava, die in graue, kohlkopfartige Nagasaki-Aschewolken emporschießt. Eine Druckwelle läuft über das Land und wirft Linus mit einem weiteren Donnern zu Boden. In den nahe gelegenen Häusern zerspringt das Glas. »Oh, Mann - «
Das Spektakel ist phantastisch anzuschauen, sinnlich und traurig. Traurig deshalb, weil nur so wenige Menschen es sehen oder davon erfahren werden. Linus weiß nicht mal genau, ob ein Vulkanausbruch als Neuigkeit zählt. »Neuigkeiten« gibt es nicht mehr, und der Mount Baker hätte ebensogut auf dem Jupiter ausbrechen können. In diesem Moment erscheine ich.
»Hey, Linus.«
»Jared - hey! - Ich meine, schau dir das an! Ich meine - o Mann, ich rede wie ein Schwachkopf, aber schau dir den Vulkan an.«
»Ich weiß. Das ist cool. So schön, daß es fast weh tut.« Der Mount Baker hört auf, Lava zu speien, doch er fährt fort, atemberaubende Asche- und Qualmwolken auszustoßen, die sich jetzt, während der Ostwind sie hinüber nach Alberta, Idaho, Montana und zu den Dakotas trägt, ganz langsam auflösen. Linus kann sich kaum entscheiden, ob er sich den Ausbruch ansehen oder mit mir sprechen soll. »Jared! Mann, Du hast mir so gefehlt.« Linus versucht mich zu umarmen, aber er umarmt nur seinen eigenen Brustkasten. »Jared - laß mich dich anschauen.« Ich wabere über dem Boden auf und ab, leuchtend und strahlend wie immer. »Du siehst so jung aus, Jared. Ein richtiger Teenie.«
»Du warst auch mal ein richtiger Teenie.“
»Das ist lange her.«
»Ja.«
Linus nimmt mich genauer ins Visier. »Du hast so vieles versäumt, was nach deinem Tod auf der Welt passiert ist. Hast du irgendwas davon mitbekommen?«
»Genug, schätze ich. Ich war allerdings einigermaßen beschäftigt.«
»Wir haben deine Asche ins Meer gestreut. Dein Dad hat ein Segelboot gechartert. Der Tag war so klar wie heute. Wir haben auf dem Boot gebetet.“
»Ich war dabei.«
»Ja. Es war wunderschön. Deine Eltern waren so nett.« Linus wirft wieder einen Blick auf die Wolke. »Wir haben uns nie daran gewöhnt, daß du gestorben bist, weißt du? Am wenigsten Richard. Und dann ist Karen ins Koma gefallen, und ich glaube, das hat Richards Leben zerstört. Ich schätze, zwischen dir und Karen besteht eine Verbindung. Ich meine, du bist ja jetzt hier.“
»Ich bin hier.«
»Kannst du mir sagen, was für eine Verbindung das ist? Ich meine, zwischen dir und Karen und dem Untergang der Welt.«
»Na, du bist ja ganz schön direkt! Okay, Linus - ich werd' dir das alles schon bald sagen, aber noch nicht jetzt, okay?“
»Meine Güte - du und Karen. Warum muß alles so rätselhaft sein? Ich hab' das ganze letzte Jahr versucht, das alles zu begreifen, aber ich konnte mir überhaupt keinen Reim darauf machen.«
»Nichts ist so, wie du vielleicht erwartest. Übrigens, wie war das letzte Jahr denn für dich?«
»Furchterregend. Einsam. Und still! So unglaublich still. Ich warte immer darauf, daß plötzlich Menschen hinter einer Ecke auftauchen oder daß ich ein Flugzeug in der Luft sehe oder ein fahrendes Auto. Aber das passiert einfach nicht. Daran habe ich mich immer noch nicht gewöhnt.“
»Soweit ich sehe, hat keiner von euch die Nerven verloren.“
» Das haben wir den Drogen zu verdanken, vielen Dank. Und den Videos. Und dem Alkohol und dem Dosenfraß. In
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