Girlfriend in a Coma
passiert sei, und sie bekommt eine Antwort, die 1997 nur allzu gang und gäbe ist: »China White. Überdosis bei einer Halloween-Party.« Jetzt begreift die Schwester, daß der krank aussehende Mann geschminkt ist. Ein scheußliches Kostüm. Die Trage wird weitergeschoben, und der hagere junge Mann, Dr. Cherneys Mann, sagt zu der jungen Hexe: »Megan, was machst du denn hier? Woher zum Teufel wußtest du davon?«
Megan sagt: »Ich bin bloß hergekommen, um Jenny Tyrell zu helfen, die Pille danach zu kriegen. Sie hat mich hergefahren. Und dann hab' ich euch hier reinkommen sehen. Also was ist los? Was ist passiert?“
»Die sind randvoll mit Heroin«, sagt Linus. »Oh, wow. Hey! Tante Wendy, Wendy, sag schnell, werden sie sterben? So richtig? Dieses China White -“
»Megan, wir reden später.« Wendy dreht sich um und spricht mit einem Wärter.
Linus versucht, sich die Welt ohne Ham und Pam vorzustellen. Ihm ist übel, und sein Magen brennt. Ihm fällt ein, wie er vor fast zwanzig Jahren Jared besucht hat, und er denkt an Karen, die all diese Jahre im Inglewood liegt, die leeren Augen auf den Tod und das Nichts gerichtet. Das Krankenhaus ist ein Ort, an dem Leben zu Ende gehen. Es ist ein Ort, der die Hoffnung auslöscht. Er bewundert Wendy über alle Maßen dafür, daß sie den Mumm hat, an so einem Ort zu arbeiten, dafür, daß sie Notärztin ist.
Wie lange hingen sie schon an der Nadel? Diese verdammten Idioten. Pam und Ham rumpeln zur Intensivstation. Sie bekommen Spritzen, der Magen wird ihnen ausgepumpt, und Sonden werden eingeführt; neue Zugänge werden gelegt, mehr Narcan gegeben. Es bedrückt Wendy, daß es keinen einzigen Test gibt, mit Hilfe dessen man bei einer Heroinüberdosis die Lage einschätzen kann. Keine Computertomographie, keine Leukozyten oder T4-Zellen - sie weiß nie genau: Ist dieser Mensch verloren?
Man bewegt die Köpfe hin und her - der »Puppenaugen«-Test -, um das Nervensystem zu überprüfen. Die schwach atmenden Körper werden kurz in den Respirator gelegt. Sie sind über den Berg und werden ein paar Stunden lang schlafen. Das Schlimmste ist vorüber, und Wendy kommt wieder aus dem Zimmer. Sie werden's schaffen, sagt Wendy. Und dann setzen sie, Megan und Linus sich in die Lobby und versuchen, sich etwas zu erholen. Schließlich sind ihre Freunde dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen. Der Gedanke, zwei weitere lebenslange Freunde zu verlieren, ist beängstigender, als sie sich je hätten träumen lassen. Ein kalter Luftzug kommt von draußen herein, und sie erschauern. Wendy hat das Gefühl, als ob in ihrer Wirbelsäule vom Kreuz bis zum Hirn ein Eiszapfen steckt. Für den Rest der Nacht hat sie frei. Unterdessen nähert sich die Krankenschwester von Karens Station den dreien und sagt: »Dr. Chernin, ich muß Ihnen wirklich was sagen ...«
»Ja?« Wendy versucht ihre Müdigkeit zu verbergen und entspannt ihren Brustkorb. »Ich weiß nicht mehr, wo wir stehengeblieben waren. Was wollten Sie?“
»Ich glaube, Sie sollten wissen, daß Ihre Freundin wieder sprechen kann.«
»Sprechen? Die nächsten vier Stunden dürfte sie tief und fest schlafen - vielleicht sogar noch länger. Wir haben ihnen ein Beruhi-«
»Nein. Nein. Nicht die Freunde. Diese ... alte Freundin von Ihnen. Die, die im Koma liegt. Sie ist oben auf 7-E. Karen.« Wendy dreht sich zu Linus und Megan um, und ihre Körper erstarren, ihre Nackenhärchen stellen sich auf, ihre Arme werden schwerelos. Plötzlich befinden sie sich in einer Sphäre der Hochspannung und Furcht. Die Schwester sagt: »Sie müssen sie doch kennen - sie hat jetzt fünfzehn Jahre im Koma gelegen. Karen.«
»Siebzehn«, sagt Linus wie aus der Pistole geschossen. Megan hat das Gefühl, sie müsse sich übergeben. »Sie hat zweimal Hallo zu mir gesagt. Ihre Augen waren klar und wach. Sie ist voll und ganz wieder da.« Wendy sieht ihre Freunde an; Blicke werden gewechselt. Linus' Hirn entleert sich, als rutsche es durch eine Falltür im Boden. Sekundenbruchteile später rennen die drei den Sauerstoffgang entlang und müssen dann noch eine lange, nervenaufreibende Aufzugfahrt durchstehen. Niemand sagt ein Wort, und ein paar Atemzüge später erreichen sie Karens Zimmer, in dem es inzwischen von Pflegepersonal wimmelt. Karen weint. Jemand will ihr gerade ein Beruhigungsmittel geben, doch Wendy schnappt sich die Spritze und wirft sie in den Müll. »Nein. Lassen Sie das. So weit kommt's noch. Auf diese Weise ist sie schließlich hier
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